Winterfest
nehmen. Die Volkswirtschaft des Landes machte deutliche Fortschritte, aber trotzdem war es die immer noch vorhandene Armut, die den stärksten Eindruck in ihm hinterlassen hatte.
»Ich habe etwas für dich«, sagte er und erhob sich.
Er ging in den Flur, holte den Koffer und nahm die Kette mit dem Bernsteinanhänger heraus, die in einer kleinen Plastiktüte lag.
Es war das erste Mal, dass er ihr ein Geschenk gekauft hatte, fiel ihm ein. Er ließ den Anhänger aus der Tüte gleiten.
»Oh, wie hübsch«, sagte sie.
Wisting lächelte.
»Du musst sie mir umlegen«, bat sie und gab ihm die Kette zurück, während sie gleichzeitig ihre Haare im Nacken anhob.
Er hakte den Verschluss zu und dachte, dass es ein Schmuckstück war, das sie nicht oft anlegen würde.
»Du musst ihn nicht tragen«, meinte er und deutete mit einem Kopfnicken auf den herzförmigen Anhänger. »Es war eher ein Almosen, dass ich ihn gekauft habe«, entschuldigte er sich und erzählte von dem Jungen, der ihm den Schmuck in einer Gasse in Vilnius verkauft hatte.
Suzanne legte die Hand darauf. »Das macht ihn nur noch schöner«, sagte sie. »Er sagt etwas über dich aus.«
»Ich habe noch etwas«, sagte er und holte die Strickpuppe hervor, die er für hundert Litas gekauft hatte. Er sah den hoffnungsvollen Blick des Mädchens vor sich, ihre schmutzigen Hände und ihr strahlendes Lächeln, als der Handel abgeschlossen war.
»Was ist das?«, fragte Suzanne und zeigte auf den Koffer.
Wisting nahm den Glastropfen heraus. Das Licht der Kerzen auf dem Tisch brachte das kleine Kunstwerk beinahe zum Glühen.
»Das ist ein Traumsammler«, erklärte er. »Ein Ort, an dem du all deine Gedanken über die Zukunft sammeln kannst. So einen hättest du haben sollen.« Er gab ihn ihr.
»Wem gehört er?«
Wisting erzählte ihr, dass das kleine Glaskunstwerk eines der liebsten Dinge war, die aus der Hütte von Jostein Hammersnes gestohlen worden waren, und wie er es in einem versteckten Lagerraum in Litauen gefunden hatte.
»Er wird ungeheuer glücklich sein, wenn er ihn zurückbekommt«, sagte Suzanne.
Wisting lächelte. Er freute sich schon darauf, den Glastropfen an den Mann zurückgeben zu können, der glaubte, alles verloren zu haben.
»Hast du heute mit Line gesprochen?«, fragte er.
»Ich habe Lunchpakete mitgenommen und dann haben wir lange zusammengesessen und gegessen«, erwiderte Suzanne und gab ihm den Glastropfen zurück. »Es war sehr gemütlich. Sie schreibt da draußen ein Buch.«
»Ein Buch?«
»Einen Kriminalroman. Ich glaube, sie kriegt es hin. Sie ist gut. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, schafft sie es auch.«
»Wovon soll der handeln?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Habt ihr über Tommy gesprochen?«
»Nicht viel. Ich glaube, sie macht sich Sorgen, was er so getrieben hat, wenn er nicht mit ihr zusammen war.«
»Inwiefern?«
»Ich wollte nicht fragen, aber sie weiß, dass mehrere der Leute, mit denen Tommy zusammenarbeitet, irgendwelche zwielichtigen Geschäfte betreiben. Das war dann letztendlich einer der Gründe, warum sie mit ihm Schluss gemacht hat.«
»Es ist also endgültig aus?«
»Ich glaube, sie ist sich dessen jetzt noch sicherer, nachdem er dort war und sie besucht hat.«
Wisting nickte zufrieden. Auf dem Fernsehschirm tauchte ein bekanntes Gesicht auf. Suzanne stellte den Ton lauter, um Thomas R ø nningens Ankündigung seiner Sendung am nächsten Tag zu hören. Unter den Gästen waren zwei Schauspieler, die in einem neuen Spielfilm beide nackt auftraten, ein Politiker, der sich nackt und entblößt vorkam, und ein bekannter Finanzinvestor, der am liebsten sehen würde, dass die Gäste in seinen Wellness-Hotels nackt badeten.
Letzten Endes ist es das, worum sich alles dreht, dachte Wisting. Geld, Macht und Sex.
61
Das Büro von Christine Thiis war ebenso aufgeräumt wie an dem Morgen, als die Ermittlungen begannen. Sie saß an ihrem großen Schreibtisch mit einer Tasse Tee und einem Stapel Tageszeitungen vor sich, als Wisting hereinkam. Der Fall war auf die Titelseiten zurückgekehrt. Der dritte Leichenfund beherrschte die Schlagzeilen.
»Willkommen daheim«, lächelte die Polizeianwältin und trank einen Schluck aus ihrer Tasse.
»Gut abgewendet«, erwiderte Wisting mit einem Kopfnicken zum Zeitungsstapel. Dass die Polizei die Leiche nicht früher gefunden hatte, in einem Gebiet, das mit Hundestaffeln und Hubschraubern nach dem Täter abgesucht worden war, hätte leicht zu
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