Winterfest
ich mal an deinen PC?«, fragte er.
»Natürlich.«
Martin Ahlberg loggte sich aus und überließ Wisting seinen Stuhl. Der Laptop war so ausgestattet, dass Ahlberg sich über eine verschlüsselte mobile Breitbandverbindung Zugang zu allen Systemen der Polizei verschaffen konnte. Das war eine teure Lösung, die Wisting für sich nicht beantragt hatte. Er war ohnehin meistens im Büro, wenn etwas passierte, und hatte nicht das Bedürfnis, den elektronischen Teil seines Jobs mit nach Hause zu nehmen.
Die E-Mails wurden geladen, kaum dass er sich ins System eingeloggt hatte. Er sortierte sie danach, ob sie relevant für den aktuellen Fall waren, und las sie zügig. Das meiste betraf Formalitäten und Selbstverständlichkeiten.
»Lust auf Abendessen?«, fragte Ahlberg. »Wollen wir heute ein anderes Lokal ausprobieren?«
Wisting stimmte zu.
Im selben Moment traf eine neue E-Mail ein. Der Absender war Benjamin Fjeld. Betreff: Dän. Stofflieferant in norw. Gewässern . Dringlichkeit: hoch.
Habe versucht, dich anzurufen, begann der junge Polizist seine Mail.
Wisting klopfte seine Hosentaschen ab und merkte, dass er sein Handy im Hotelzimmer liegengelassen hatte.
Er las weiter. Die Mail enthielt einen kurz gefassten Bericht, dass ein älterer Vogelbeobachter ein Schnellboot fotografiert hatte, welches am Tag nach dem ersten Leichenfund im Guslandfjord auf und ab gefahren war, als ob der Bootsführer nach etwas suchte. Nachforschungen hatten ergeben, dass es sich um ein in Dänemark gebautes Boot handelte, und das Foto war an die Reichspolizei in Kopenhagen übermittelt worden. Der Mann an Bord des Bootes war als Klaus Bang identifiziert worden, bei der dänischen Polizei bekannt wegen wiederholter Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Wisting klickte auf den Dateianhang und bekam ein Foto auf den Bildschirm, das einen Mann zeigte, der landeinwärts starrte. Obwohl er seine Augen hinter dunklen Brillengläsern verborgen hatte, war es für diejenigen, die ihn kannten, kein Problem, ihn wiederzuerkennen.
Er schrieb rasch eine Antwort, dass er die Mail bekommen hatte, und bat Benjamin Fjeld, die anderen im Ermittlungsteam auf dem Laufenden zu halten. Dann leitete er die Mail an Leif Malm weiter und bat ihn um eine Einschätzung.
Die neuen Informationen brachten sie einen großen Schritt weiter in ihrem Bemühen, sich ein ganzheitliches Bild von den Ereignissen zu machen. Sie passten sehr gut zu dem, was die Quelle der Geheimdienstsektion in Oslo berichtet hatte – dass es nämlich um eine Drogenlieferung an Rudi Muller ging, die schiefgegangen war. Gleichzeitig war da aber etwas, das nicht ins Bild passte.
Die Quelle hatte der Polizei berichtet, dass einer der Kuriere, die über das Skagerrak gekommen waren, vermutlich bei der Auseinandersetzung getötet worden war und dass man in Mullers Kreisen glaubte, es handele sich um den Mann, den man im Ruderboot gefunden hatte. Der war inzwischen als Darius Plater aus Litauen identifiziert worden. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass Plater über den Seeweg von Dänemark gekommen war.
Nach wem hielt dann der Mann in dem großen Schlauchboot so intensiv Ausschau?
Das Foto auf dem Bildschirm lieferte keine Antwort, also loggte Wisting sich aus dem System aus und stand auf.
Ahlberg stand vor dem Fernseher und zappte durch die Programme. »Wollen wir essen gehen?«, fragte er.
Wisting sah keinen Grund, Martin Ahlberg über die Entwicklung in Kenntnis zu setzen. Das war Information auf Need-to-know-Niveau.
»Ich muss nur noch kurz telefonieren«, erwiderte er und ging zur Tür. »Wir können uns in einer Viertelstunde an der Rezeption treffen.«
52
Wisting wählte die Nummer von Nils Hammer. Der war sofort am Apparat.
»Hast du schon mit Benjamin Fjeld gesprochen?«, fragte Hammer.
»Ich habe eine E-Mail von ihm erhalten«, antwortete Wisting. »Sehr interessant und gute Arbeit. Wie ist er überhaupt an den Zeugen gekommen?«
»Line hat ihn draußen in der Nähe der Hütte getroffen.«
Wisting runzelte die Augenbrauen und blickte aus dem Fenster, vor dem es langsam dunkel wurde.
»Line?« Er fand es merkwürdig, dass sie ihre Informationen Benjamin Fjeld mitgeteilt hatte, anstatt Kontakt zu ihrem Vater aufzunehmen.
»Ja, Fjeld hatte sie doch vernommen«, erklärte Hammer, als hätte er Wistings Gedanken gelesen. »Ihr war an dem Tag, als sie ankam, ein Lieferwagen aufgefallen, und sie hatte einen Mann mit einem Fernglas gesehen. Wie sich herausstellte,
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