Winterherzen
ergriff ihr Handgelenk, hielt es fest umschlungen. „Das war falsch“, verkündete er gereizt. „Man gibt sein Kapital nicht aus, man benutzt es als Sicherheit. Leihe dir das Geld und lass dein eigenes Geld Zinsen bringen, während du mit Fremdgeld arbeitest. Die Kreditzinsen sind von der Steuer absetzbar, und du wirst jede Steuerermäßigung brauchen. Warte nicht auf Profite, bevor du diese Verbesserungen ausführst. Leih dir das Geld und mache es jetzt. Wenn ich hier gewesen wäre, als du das Geschäft gekauft hast, hätte ich mit dir ein Geschäftsdarlehen bei einer Bank eingerichtet.“
Sarah entspannte sich wieder. Seine Kritik und seinen Rat in geschäftlichen Dingen konnte sie verkraften, ja sogar befürworten.
„Du brauchst außerdem einen guten Steuerberater“, fuhr er fort. „Ich würde mich ja gern darum kümmern, aber ich bin zu oft verreist. Wenn du ein Geschäft führen willst, dann mache es richtig.“
„In Ordnung“, stimmte sie sanft zu. „Ich wusste das alles nicht. Mein Instinkt rät mir, immer alles gleich zu bezahlen, damit es mir gehört und mir nicht weggenommen werden kann. Ich habe mich nie für Finanzpolitik interessiert, aber wenn du sagst, dass es so gehandhabt werden sollte, dann glaube ich es.“
Er musterte sie eindringlich und dachte zurück an den Morgen nach ihrer Hochzeit, als sie aus der Fassung geraten war, weil sie sich in der Küche nicht zurechtgefunden hatte. Seitdem wusste er, dass sie geradezu fanatisch ordnungsliebend war und sich nur in vertrauter Umgebung sicher fühlte. Doch nun kündete eine ihrer Bemerkungen von einer sehr ausgeprägten Unsicherheit in ihr, von der er bisher nichts geahnt hatte.
„Dir weggenommen werden?“, hakte er beiläufig nach, obwohl er sie keineswegs beiläufig beobachtete. Er hatte das Gefühl, endlich ihre innere Barriere zu durchbrechen und zu erfahren, was in ihr vorging. „Glaubst du wirklich, dass ich dich mit dem Geschäft Pleite gehen lassen würde, das dir so viel Spaß macht? Du brauchst einen Bankrott nie zu befürchten.“
„Das ist es nicht“, entgegnete sie mit gesenktem Blick. „Ich habe nur das Gefühl gebraucht, dass es wirklich meins ist, dass ich … dass es mir gehört.“
„Weißt du eigentlich, dass ich überhaupt nichts von deiner Familie weiß?“, fragte er im Plauderton. Er spürte sie zusammenzucken und erkannte, dass er auf der richtigen Spur war. „Wer sind deine Eltern? Warst du als Kind benachteiligt?“
Abrupt blickte sie zu ihm auf. „Willst du meine Psyche analysieren? Die Mühe kannst du dir sparen. Ich kann dir alles erklären. Es ist kein Geheimnis, obwohl ich nicht gern darüber rede. Nein, ich war als Kind nicht benachteiligt, jedenfalls nicht in materieller Hinsicht. Mein Vater ist ein erfolgreicher Anwalt. Ich bin in der gehobenen Mittelschicht aufgewachsen. Aber meine Elternwaren nicht glücklich miteinander und blieben nur meinetwegen verheiratet. Sobald ich das College besuchte, ließen sie sich prompt scheiden. Ich habe ihnen nie nahegestanden. Es war alles so … so kalt zu Hause, so höflich. Ich habe wohl immer geahnt, wie wacklig der Zusammenhalt war, und ich wollte mir mein eigenes kleines Nest schaffen, in dem ich mich sicher fühlen konnte.“
„Und das tust du immer noch.“
„Ja, das tue ich immer noch. Ich umgebe mich mit Dingen und gebe vor, dass sich nichts ändern wird.“ Sie glaubte Mitleid in seinem Blick zu erkennen, und das gefiel ihr nicht. Sie zwang sich, gelassen zu klingen. „Alte Gewohnheiten lassen sich schwer ablegen, wenn überhaupt. Ich akzeptiere nicht so leicht Veränderungen in meinem Leben. Ich muss mir die Dinge eine Weile überlegen und mich daran gewöhnen, bevor ich allmählich etwas ändere.“ Nachdenklich fügte sie hinzu: „Abgesehen von dem Geschäft. Das wollte ich sofort. Es strahlt eine so dauerhafte, heimelige Atmosphäre aus.“
Daher also all die Barrieren, dachte Rome. Es war ein Wunder, dass sie ihn überhaupt geheiratet hatte, wenn sie Veränderungen derart hasste. Wahrscheinlich hatte sie den Schritt nur gewagt, weil er ihr versichert hatte, sich nicht in ihr Leben einzumischen. Seit der Hochzeit versuchte er jedoch, ihre Reserven zu durchbrechen, während sie sich verzweifelt bemühte, sie aufrechtzuerhalten. Sie war gar nicht kalt und abweisend, was er an ihrer leidenschaftlichen Reaktion längst hätte erkennen müssen. Sie war eher wie ein scheues Reh. Sie musste ihm zunächst vertrauen und ihn in ihrem Leben
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