Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterjournal (German Edition)

Winterjournal (German Edition)

Titel: Winterjournal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
Vom Netzwerk:
mes devoirs!
    Tu te rappelleras la beauté des caresses,
    La douceur du foyer et le charme des soirs,
    Mère des souvenirs, maîtresse des maîtresses!
    Das war einer der außerordentlichsten Augenblicke deines Lebens, einer der glücklichsten Augenblicke deines Lebens, und noch als du längst wieder zurück in New York warst und das nächste Kapitel deiner Geschichte geschrieben wurde, dachtest du immer wieder an Sandra und die Stunden, die du in dieser Nacht mit ihr verbrachtest, und fragtest dich, ob du nicht einfach ins nächste Flugzeug springen, nach Paris zurückkehren und ihr einen Heiratsantrag machen solltest.
     
    Immer auf dem Holzweg, immer in der falschen Richtung unterwegs, immer im Kreis herum. Zeitlebens leidest du an der Unfähigkeit, dich im Raum zu orientieren, und selbst in New York, wo man sich so gut zurechtfindet wie in sonst keiner Stadt, wo du den größten Teil deines Erwachsenenlebens verbracht hast, gerätst du häufig in Schwierigkeiten. Wenn du mit der Subway von Brooklyn nach Manhattan fährst (vorausgesetzt, du hast den richtigen Zug genommen und fährst nicht noch tiefer nach Brooklyn hinein), hast du es dir zur Regel gemacht, sobald du die Treppe zur Straße hochgestiegen bist, erst einmal innezuhalten und dich zu orientieren, und trotzdem gehst du dann nach Norden statt nach Süden, nach Osten statt nach Westen, und selbst wenn du dich austricksen willst, weil du weißt, deine Schwäche wird dich in die falsche Richtung schicken, und du den Fehler im Ansatz korrigieren möchtest, indem du das Gegenteil von dem tust, was du eigentlich vorhattest, nach links gehst statt nach rechts, nach rechts statt nach links, bemerkst du bald, du bewegst dich am Ende immer noch in die falsche Richtung, ganz gleich, wie viele Revisionen du vorgenommen hast. Allein durch den Wald zu wandern kannst du vergessen. Binnen Minuten hast du dich hoffnungslos verirrt, ebenso wie du in unbekannten Gebäuden grundsätzlich den falschen Korridor oder den falschen Aufzug nimmst, zu schweigen von kleineren geschlossenen Räumen, Restaurants zum Beispiel, wo du, wenn das Lokal über mehr als einen Speisesaal verfügt, auf dem Rückweg von der Toilette unweigerlich an irgendeiner Stelle falsch abbiegst und dann minutenlang vergeblich nach deinem Tisch suchst. Die meisten Leute, auch deine Frau mit ihrem unfehlbaren inneren Kompass, scheinen problemlos durch die Welt zu wandeln. Sie wissen, wo sie sind, woher sie kommen und wohin sie gehen, du aber weißt nichts, du bist ewig im Augenblick verloren, im Vakuum jedes einzelnen Augenblicks, der dich verschlingt, ohne Vorstellung davon, wo Norden ist, da die vier Himmelsrichtungen für dich nicht existieren, für dich nie existiert haben. Bis jetzt ist das nur eine kleinere Beeinträchtigung, ohne nennenswerte dramatische Konsequenzen, aber das heißt nicht, dass du nicht eines Tages versehentlich über den Rand einer Klippe gehen wirst.
     
    Dein Körper in kleinen Räumen und großen Räumen, dein Körper, der Treppen hinauf- und hinuntergeht, dein Körper, der in Teichen, Seen, Flüssen und Meeren schwimmt, dein Körper, der über schlammige Äcker trampelt, dein Körper, der im hohen Gras einsamer Wiesen liegt, dein Körper, der durch Straßen geht, dein Körper, der sich Hügel und Berge hinaufquält, dein Körper, der auf Stühlen sitzt, auf Betten liegt, sich an Stränden rekelt, auf Landstraßen radelt, Wälder, Weiden und Wüsten durchwandert, auf Aschenbahnen läuft, auf Hartholzböden herumspringt, unter Duschen steht, in warme Bäder steigt, auf Toiletten sitzt, in Flughäfen und Bahnhöfen wartet, in Aufzügen fährt, sich in Busse und Autos zwängt, ohne Schirm durch Hagelstürme geht, in Klassenzimmern sitzt, in Buchhandlungen und Plattenläden (R. I. P.) stöbert, in Auditorien, Kinos und Konzertsälen sitzt, mit Mädchen in Turnhallen tanzt, Kanu auf Flüssen fährt, Boote über Seen rudert, an Küchentischen isst, in Kaufhäusern, Haushaltswarenläden, Möbelgeschäften, Schuhgeschäften, Baumärkten, Lebensmittelläden und Bekleidungsgeschäften einkauft, für Pässe und Führerscheine Schlange steht, sich auf Sesseln zurücklehnt, die Beine auf Stühle und Tische hochgelegt, während du in Notizbücher schreibst, sich über Schreibmaschinen beugt, ohne Hut durch Schneestürme geht, Synagogen und Kirchen betritt, sich in Schlafzimmern, Hotelzimmern und Umkleidekabinen aus- und anzieht, auf Rolltreppen steht, in Krankenhausbetten liegt, bei Ärzten

Weitere Kostenlose Bücher