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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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bessere Zeiten gesehen, holte aber dennoch auf und arbeitete sich näher an den Wagen heran. Die Begrenzungspfähle zu beiden Seiten reflektierten das Scheinwerferlicht.
    Als der Kleinlaster nach rechts ausbrach und im Wald verschwand, schaltete Father Paul einen Gang herunter. Die Räder seines Wagens erklommen die Böschung und sanken in den tiefen Schnee, der den Feldweg bedeckte. Dichter Fichtenwald erstreckte sich zu beiden Seiten, bildete eine dunkle Wand, die sich dem Flockenwirbel zumindest zeitweise entgegenstemmte. Die Scheinwerfer seines Wagens malten helle Flecken auf die Bäume und erfassten den Pick-up, der anscheinend ins Schleudern geraten war und keine hundert Schritte weiter im Schneestecken geblieben war. Nur das rote Rücklicht war zu sehen, die Scheinwerfer zeigten auf die Bäume.
    Father Paul schaltete das Fernlicht aus und fuhr langsam auf den Wagen zu. Er wusste, was sein Vorgesetzter zu dieser Verfolgungsjagd sagen würde: »Wie kann man nur so leichtsinnig sein, Father Paul? Die Männer hätten doch bewaffnet sein können!« Aber er würde natürlich nie etwas von diesem Ausflug erfahren. Als Priester in einem Indianerreservat kam man ohne solche Geheimnisse nicht weit. Der Prinzipal hatte keine Ahnung, wie die Bedingungen in der Wildnis waren. »Wildnis«, so nannte Father Paul das Gebiet an der kanadischen Grenze immer noch, weil sich hier vieles in den letzten zweihundert Jahren kaum geändert hatte. Wer mit dem Kanu durch die Boundary Waters fuhr, sah die gleiche unberührte Natur wie die Fallensteller und Indianer im 19. Jahrhundert. Ein Mann wie Niskigwun hätte woanders niemals diesen Einfluss gehabt. Und ein mächtiger Konzern wie Clarkson Minerals vielleicht auch nicht.
    Father Paul hielt hinter dem Pick-up und stieg aus. Die beiden jungen Männer auf dem Vordersitz hatten gar nicht erst den Versuch gemacht, zu fliehen. Bei diesem Wetter wären sie sowieso nicht weit gekommen, vor allem nicht in der leichten Kleidung, die sie trugen, und das Nummernschild des Pick-ups hätte sie sowieso verraten. Als Father Paul die Fahrertür öffnete, starrten sie wortlos nach vorn, als gäbe es am Waldrand etwas Besonderes zu sehen.
    Der Pater kannte die jungen Männer. Benny Grey Owl und Ralph Wolf Tail, zwei Nichtsnutze, die vor einem halben Jahr von der Highschool abgegangen waren, sich seitdem mit Gelegenheitsjobs durchschlugen und auch so manches krumme Ding drehten. Wegen Ladendiebstahls waren sie vorbestraft.
    »Und?«, fuhr Benny den Pater herausfordernd an. »Was wollen Sie jetzt tun? Uns bei den Cops verpfeifen?«
    »Ich will nur wissen, warum ihr es getan habt«, erwiderte Father Paul. »Wer bringt euch dazu, nachts und dazu noch bei diesem Wetter quer durch die Rez zu fahren und mir ein Fenster einzuwerfen? Warum macht ihr so was? Habt ihr was gegen mich? Gegen die Kirche? Hab ich euch vielleicht jemals gezwungen, in den Gottesdienst oder zu den AA-Meetings zu kommen? Hab ich ein Wort darüber verloren, dass ihr die Highschool geschmissen habt?«
    »Sie haben diese beschissene Predigt gehalten«, erwiderte Benny. Er war der Üblere von beiden. »Dass man auch als Indianer eine Chance hat, wenn man brav zur Schule geht und Alkohol und Drogen sein lässt. Dass Gott alle Menschen mag, sogar Indianer, und dass wir in den Knast kommen, wenn wir klauen und schlägern, und als Verbrecher rauskommen. So ’n Scheiß!«
    »Du warst letzten Sonntag im Gottesdienst? Ich hab dich nicht gesehen.«
    »Meine Schwester hat’s mir erzählt. Die glaubt den Scheiß, den Sie erzählen.« Er blickte den Pater vorwurfsvoll an. »Hat Gott ihr vielleicht einen Job besorgt? Kauft er was zu essen für ihr Baby? Baut er ihr ein schönes Haus?«
    »Hast du deshalb mein Fenster eingeworfen? Weil du glaubst, dass Gott euch vergessen hat? Ist er schuld daran, dass du von der Schule abgegangen bist? Dass du mit Steinen wirfst?«
    »Was soll’s?«, fauchte Benny. »Verpfeifen Sie uns bei den Cops, wenn Sie wollen. Beten Sie für uns, wenn’s unbedingt sein muss. Aber verschonen Sie uns mit Ihrem Pfaffen-Gesabber!«
    »Denkst du auch so, Ralph?«
    Ralph blickte stur geradeaus, schien Angst davor zuhaben, dem Pater in die Augen zu sehen. Er zeigte wenigstens ein bisschen Reue. »Regen Sie sich ab, Father. Ist doch nur ein Fenster. Bleiben Sie bei Ihrem Kirchenscheiß, dann kann Ihnen gar nichts passieren. Die wollten …«
    »Die?«, wunderte sich Father Paul. Ihm kam ein Verdacht. »Wen meinst du damit? Hat euch

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