Winterkill
das?«, fragte er erstaunt. »Soll das ein Scherz sein? Hören Sie, ich bin zu alt für …«
»Kein Scherz«, erwiderte sie atemlos. »Die Männer sind hinter mir her. Ich bin Sarah aus dem fünften Stock und ich …« Sie ahnte, dass er es doch nicht kapieren würde, und zog ihr Handy aus der Umhängetasche. Die Nummer der US Marshals kannte sie auswendig, sie zu speichern wäre zu gefährlich gewesen.
Doch sie kam nicht dazu, die Nummer einzugeben. Kaum hatte sie die erste Ziffer gedrückt, schlug jemand so heftig gegen die Tür, dass auch der alte Mann erschrak. »Machen Sie auf ! Wir wissen, dass die Schlampe bei Ihnen steckt! Machen Sie auf oder wir treten die verdammte Tür ein! Wird’s bald?«
Der alte Mann war viel zu erschrocken, um zu reagieren, merkte erst jetzt, dass sich Sarah in ernsthafter Gefahrbefand. Vor Angst und Nervosität zitternd starrte er auf die Wohnungstür.
Sarah verharrte mehrere Sekunden wie zu Stein erstarrt. Die Verfolger hatten anscheinend doch noch gesehen, wie der Mann die Tür geschlossen hatte.
Sie steckte das Handy ein und suchte nach einem Ausweg. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Die Killer würden die Tür eintreten, da war sie ganz sicher. »Wo geht es zur Feuertreppe?«, fragte sie.
Der alte Mann reagierte nicht, starrte zur Tür wie das Kaninchen auf die Schlange. Aus seinem Gesicht war alles Blut gewichen. »Was hat das zu bedeuten, Miss?«, sagte er endlich. »In was haben Sie mich da reingeritten? Was …«
»Wo ist die Feuertreppe, Mister?«
»Im … im Wohnzimmer. Aber …«
Sie war schon unterwegs ins Wohnzimmer, hatte gerade das Fenster aufgerissen, als sie hörte, wie die Tür aufgestoßen wurde. Der alte Mann hatte den Verfolgern geöffnet. Gleich darauf erklangen Schritte.
»Endlich!«, rief einer der Männer. »Wurde auch langsam Zeit! Aus dem Weg!«
Sarah kletterte auf die Feuertreppe und stieg nach unten. Der Schnee lag bereits zentimeterdick auf den rostigen Stufen. Sie musste sich mit beiden Händen am Geländer festhalten, um nicht zu stürzen. Das Gerüst ächzte unter jedem ihrer Tritte. Die Flocken trieben in ihr Gesicht und ließen sie kaum die Hand vor Augen erkennen.
Der Schnee dämpfte ihre Schritte, aber über ihr stand das Fenster offen, und die Verfolger brauchten nicht lange, um sie zu entdecken. Das Gerüst schwankte, als sie auf die Treppe sprangen. Sarah vergeudete keine Zeit damit, sich nach ihnen umzudrehen, rannte hastig weiter in derHoffnung, rechtzeitig die Straße zu erreichen und einen Streifenwagen zu finden oder ein Taxi anzuhalten. Doch die Männer waren nur knappe zwei Stockwerke hinter ihr und ihre Chancen standen schlecht.
Wie von Furien gejagt hetzte sie die Treppe hinab. Sie zählte die Stockwerke nicht, sah nur, dass sie noch vier oder fünf Geschosse bis zur Straße hatte und die Schritte ihrer Verfolger immer näher kamen. Sie rutschte aus, fiel ein paar Stufen nach unten und klammerte sich an das Geländer, merkte erleichtert, dass sie nicht verletzt war. Nur weiter, schnell weg von den Killern, bevor sie schießen konnten.
Sie nahm zwei Stufen auf einmal, in der Gefahr, noch einmal im Schnee auszurutschen, doch anders würde sie den Männern nicht entkommen. Sie hatten Pistolen, sobald sie nahe genug waren, würden sie feuern.
Noch drei Stockwerke, nur noch drei, das sah sie im gelben Lichtschein, der aus einem der Fenster fiel. Die Schritte hinter ihr wurden lauter. Sie glaubte bereits den Atem ihrer Verfolger im Nacken zu spüren. In ihrer Panik rutschte sie erneut aus, genau in dem Augenblick, als einer der Männer auf sie anlegte und den Abzug seiner Pistole durchzog. Die Kugel pfiff dicht an ihr vorbei und zischte in die Nacht.
Sie verlor den Halt und stolperte nach vorn, prallte gegen das Geländer, versuchte noch, sich mit einer Hand daran festzuhalten, fiel ein paar weitere Stufen nach unten und stürzte über das Geländer in die Tiefe. Mit geschlossenen Augen wartete sie auf den Aufprall.
3
Havelka parkte im Halteverbot vor dem Hochhaus an der Grand Avenue und legte ihren Parkausweis aufs Armaturenbrett. Das half nicht immer gegen ein Strafmandat, aber meistens. Mit dem Hausschlüssel der Toten betrat sie die moderne Lobby und fuhr in den zwölften Stock hinauf.
Sie hätte die Durchsuchung von Candy Morgans Apartment auch ihren Detectives überlassen können, aber irgendetwas an dem Fall faszinierte sie.
Eigentlich war es gar kein Fall, überlegte sie, während der gläserne Aufzug nach oben
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