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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Krankenwagen warten wollte? Sie haben doch sicher gefragt.«
    »Mehrmals sogar«, erwiderte er. »Sie kam mir wie ein Boxer vor, der nach einem K. O. wieder aufsteht. Als wäre sie die Prügel gewöhnt. ›Ich komme schon klar‹, sagte sie. Seltsam, nicht wahr?« Er zog den Hund näher zu sich heran. »Aber Sie sollten sich auch um die andere Lady kümmern … Sarah Anderson, glaube ich. Ihr Name steht unter der Klingel. Sie rannte gerade vor den beiden Typen davon, als ich kam. Die Kerle stießen Toby und mich über den Haufen, als sie ihr folgten. Sie hatten Pistolen dabei, und bald darauf fiel sogar ein Schuss, aber die Kugel ging anscheinend vorbei, sonst wäre hier längst die Hölle los. Ich nehme an, die Männer wollten ihr nur Angst einjagen.«
    Colby nickte kurz. »Haben Sie eine Ahnung, wer die beiden Kerle waren?«
    »Carol sagte, es wären Einbrecher gewesen, aber das glaube ich nicht. Die hätten doch sicher den Laptop mitgenommen. In diesem Haus gibt’s für Einbrecher sowieso wenig zu holen. Hier wohnen keine reichen Leute. Und warum sollten sie denn ausgerechnet im fünften Stock einbrechen? Bei zwei jungen Frauen, die kaum was besitzen. Also, wenn Sie mich fragen, Officer …«
    Colby mochte keine geschwätzigen Zeugen, war aber froh, dass sich sein junger Partner Notizen machte. »Nun?«
    »Ich glaube, die Typen wollten sie vergewaltigen, und wenn Miss Anderson nicht nach Hause gekommen wäre, dann wäre es ihnen auch gelungen. Das waren keine gewöhnlichen Einbrecher, Officer, das waren eiskalte Burschen, so wie die sie zugerichtet hatten. Furchtbar.«
    »Wie sahen sie aus?«, fragte Colby.
    Er zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, es ging alles so schnell. Ich weiß gerade mal, dass es zwei waren. Ich glaube, sie trugen schwarze Mäntel, wie die Profikiller in manchen Krimis.«
    »Genauer geht’s nicht?«
    »Es waren Weiße. Ungefähr dreißig, vierzig Jahre alt. Mehr kann ich leider nicht sagen. Außer dass sie mich wie zwei Linebacker beim Football über den Haufen rannten … Toby und mich.«
    »Okay«, zeigte sich Colby zufrieden, »sieht ganz so aus, als müssten wir den Fall den Detectives übergeben. Bleiben Sie bitte in Ihrer Wohnung, Mister …«
    »Gruber. Kevin Gruber.«
    »Mister Gruber. Könnte sein, dass die Kollegen heute Abend noch bei Ihnen vorbeischauen.« Er wartete, bis der junge Mann gegangen war, und wandte sich an seinen Partner. »Wen sollen wir anrufen? Gewaltverbrechen? Einbruch? Sitte?« Er zögerte nur eine Sekunde. »Ich versuch’smal mit der Abteilung für Gewaltverbrechen. Hauptsache, wir sind aus der Sache raus. Überstunden sind heute nicht drin. Ich darf auf keinen Fall die Talkshow mit Jay Leno verpassen. Weißt du, wer heute kommt?«
    »Pamela Anderson?«
    »Clint Eastwood.«
    Taylor blieb keine Zeit für einen Kommentar. Aus dem Aufzug kamen die Sanitäter mit der Trage. Er drehte sich zu ihnen um und sagte: »Ihr könnt wieder umkehren, Leute. Die Lady hat es vorgezogen, das Weite zu suchen.«
    Mit pochendem Herzen beobachtete Sarah, wie der schwarze Escalade an ihr vorbeifuhr. Die Versuchung, beim Anblick der glühenden Augen aufzuspringen und wegzulaufen, war groß, doch sie blieb in ihrem Versteck und wartete geduldig, bis der Wagen zurückkehrte. Der klobige SUV hielt noch einmal kurz in ihrer Nähe und verließ dann langsam das Parkhaus.
    Nur ganz allmählich löste sich ihre Verkrampfung. Die Muskeln lockerten sich und sie konnte sich wieder einigermaßen bewegen. Selbst der Schmerz in ihrer Hüfte ließ allmählich nach. Sie massierte ihre Hände, bis das Blut zirkulierte und das Gefühl zurückkehrte. Als ihr einfiel, dass ihre Handschuhe in den Anoraktaschen steckten, unterdrückte sie nur mühsam ein Lachen.
    Noch wagte sie nicht, aufzustehen. Auch wenn der Escalade verschwunden war, konnten ihre Verfolger noch in der Nähe sein, und der Wendigo allemal. Das Glühen der Augen war so eindringlich gewesen, die krächzende Stimme so laut und deutlich, dass sie sich das Ungeheuer nicht eingebildet haben konnte. Es gab ihn wirklich, er war so real, wie die alten Anishinabe im Reservat behauptet hatten, und er war nach Chicago gekommen, um sie zuvernichten. Er hatte ihren Namen gerufen, der Beweis dafür, dass er sie töten und verschlingen wollte.
    Seltsam nur, dass er in die Stadt gekommen war. In den Legenden ihres Volkes trieb sich der Wendigo nur in der Wildnis herum, vorzugsweise in den Boundary Waters an der Grenze zwischen Minnesota und Kanada.

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