Winterkill
Motors klang bedrohlich.
Sie rannte noch schneller und huschte gebeugt an einigen Büschen vorbei in die Gasse. Vielleicht hatte sie Glück, und die Verfolger hatten nicht gesehen, wo sie abgebogen war. Sie tauchte in der Gasse unter, balancierte über lose Bretter, die von einer Reparatur des Holzhauses liegen geblieben waren, und Abfall auf die andere Seite.
Die Gasse endete an einer umzäunten Baustelle. Ein neues Geschäftshaus, das bereits im Rohbau stand und dunkel in den Flockenwirbel ragte. Sie rannte an dem Zaun entlang zur Hauptstraße, hetzte bei Rot über die Straße und hatte Glück, dass wenig Verkehr war. Auf dem Gehsteig blieb sie unter einer Markise stehen. Sie gehörte zu einem Lokal, das bankrottgegangen war und geschlossen hatte. Nervös blickte Sarah über die Straße zurück. Keine Spur von den Männern. Anscheinend hatten sie nicht gesehen, dass sie in die Gasse gerannt war, und sie aus den Augen verloren.
Das Aufheulen des Motors belehrte sie eines Besseren. Jetzt waren sie wohl beide im Auto unterwegs und suchten die Umgebung nach ihr ab. Sie blickte sich rasch nach einem Versteck um, sah den Eingang zum Parkhaus an der Ecke und sprintete hinein. Über die nasse Rampe rannte sie ins Parterre.
Als ihr ein Kleinwagen entgegenkam, drückte sie sich schnell an die Wand. Sie lief zu der Tür, die insTreppenhaus führte, riss sie auf und stürmte die Betonstufen nach oben. Ihre geprellte Hüfte schmerzte bei jedem Schritt. Das Klappern ihrer Absätze hallte hohl durch das notdürftig beleuchtete Treppenhaus. Wenn sie nicht bald ein Versteck fand, konnte sie auch gleich eine Fahne mit der Aufschrift »Hier bin ich!« hochhalten.
Im dritten Stock verließ sie den Flur und hastete zwischen die geparkten Wagen. In der dunkelsten Ecke kauerte sie sich hinter einem schwarzen Lexus zusammen.
Sie blieb in der Hocke und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, blieb schnaufend sitzen, bis sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. Der eisige Wind hatte die Benommenheit vertrieben, das Adrenalin, das während der Flucht durch ihre Adern geschossen war, hatte sie die Schmerzen von dem Sturz vergessen lassen. Sie schloss für einen Moment die Augen und bemühte sich, ruhig zu atmen, wie während der Sportstunden am College, wenn sie eine Meile gelaufen war.
Ihre Hände zitterten, als sie das Handy hervorholte. Wen sollte sie zuerst anrufen? Die US Marshals? Father Paul in Grand Portage? Die Polizei? Würde man ihr dort überhaupt glauben? Sie ging auf Nummer sicher und wählte die Notrufnummer 911. Gleich darauf meldete sich die Zentrale: »911. Um was für einen Notfall handelt es sich?«
Obwohl der Escalade nicht zu hören war, flüsterte Sarah: »Zwei Männer … Sie wollen mich umbringen. Ich bin …«
Aus dem Stockwerk unter ihr drang das dunkle Brummen eines SUV herauf. Sie ahnte, dass es der Geländewagen mit den Killern war, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte. Die Männer hatten wohl doch bemerkt, dass sie ins Parkhaus geflüchtet war.
»Hallo, Miss!«, tönte es aus ihrem Handy. »Sind Sie noch dran? Wie heißen Sie? Wo sind Sie gerade? Sagten Sie, eswill Sie jemand umbringen? Wir können Ihnen nur helfen, wenn wir wissen, wo Sie sind. Sprechen Sie bitte laut und deutlich! Ich kann Sie kaum …«
Sarah schaltete das Handy aus und steckte es in ihre Umhängetasche. Der Gedanke, dass man sie zurückrufen und das Klingeln sie verraten könnte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Sie spähte über die Kühlerhaube des Wagens, hinter dem sie sich versteckt hatte, und blickte auf die Tür, durch die sie gekommen war. Wenn sie das Treppenhaus erreichte, bevor der Escalade um die Ecke kam, schaffte sie es vielleicht, ihnen wieder zu entkommen.
Sie wollte ihr Versteck schon verlassen, als ihr einfiel, dass sie es mit Profis zu tun hatte. Sie machten bestimmt nicht den Fehler, das Treppenhaus unbeaufsichtigt zu lassen. Wahrscheinlich war einer der Männer unten ausgestiegen und wartete am Ausgang. Und da es beinahe unmöglich war, jeden Winkel des Parkhauses abzusuchen, versuchte der andere wohl nur, sie aus ihrem Versteck zu vertreiben. Eine einfache List, die sicher aufgegangen wäre, wenn Sarah nicht die Gene ihrer Vorfahren geerbt hätte. Die Männer ihrer Familie waren große Krieger und Jäger gewesen, so hatte ihr Vater berichtet.
Sie hatte wenig Gelegenheit gehabt, mit ihrem Vater durch die Wildnis zu ziehen. Aber die wenigen Male, die sie zu Fuß oder im Kanu unterwegs
Weitere Kostenlose Bücher