Winterkill
Vorsprung musste reichen, um sich vor den Killern in Sicherheit zu bringen. Zeit genug, um ein Telefon zu finden und Ethan anzurufen. Zusammen würden sie einen Weg finden, um diesen Albtraum endlich zu beenden.
Zu ihrem Schrecken hielt der Aufzug im vierzehnten Stockwerk. Die Tür ging auf und ein Mann mit einem Cockerspaniel stieg ein. Er war ungefähr vierzig und trug einen teuren Mantel. Durch die offene Tür hörte Sarah die hektischen Schritte der Verfolger. Noch war der Vorsprung groß genug.
Die Tür schloss sich und der Aufzug fuhr weiter nach unten. »Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte der Mann, als er ihre nasse Kleidung bemerkte.
»Ich habe trockene Sachen im Wagen«, antwortete sie lächelnd und merkte gar nicht, wie bescheuert das klang.
Er blickte sie verwundert an, schien erst über ihre Antwort nachdenken zu müssen, bevor er noch etwas sagte. Der Cockerspaniel nützte die plötzliche Stille, um an Sarah hochzuspringen und an ihr zu schnuppern. »Lass das, Rambo!«, wies der Mann ihn zurecht.
Sie erreichten das Erdgeschoss und Sarah stürmte vor dem Mann aus dem Aufzug und auf den Gehsteig hinaus. Seine verwunderten Blicke kümmerten sie nicht. Ohne zu zögern, rannte sie auf die andere Straßenseite und weiter nach Süden. Unter dem Gerüst der Hochbahn, das sich wie ein stählerner Tunnel über der Straße erhob und sie noch dunkler erscheinen ließ, lief sie davon. Weder dieKälte noch ihre Schmerzen spürte sie noch. Ihre Gedanken waren nur noch darauf ausgerichtet, ihren Verfolgern zu entkommen, koste es, was es wolle.
Ein Schneepflug kam aus einer Nebenstraße und bog in die Wabash Avenue, holte sie ein und arbeitete sich langsam nach Süden vor. Sarah nützte die Chance und blieb auf der Höhe des verschmutzten Räumfahrzeugs, das sie vor den Blicken der Killer schützen würde, wenn sie aus dem Haus kamen.
Mit dem Schneepflug rannte sie die Straße hinab, verzweifelt bemüht, auf gleicher Höhe und in der sicheren Deckung des massigen Fahrzeugs zu bleiben. Es fuhr gerade so schnell, dass sie einigermaßen mithalten konnte, wenn auch nicht lange. Ein oder zwei Blocks, die hoffentlich ausreichen würden, um sicher vor den Killern zu sein.
Über ihr ratterte ein Zug der Red Line in den Bahnhof. Bei dem wenigen Verkehr, der um diese Zeit und bei diesem Wetter selbst im Loop herrschte, klang das Quietschen der Bremsen überlaut. Das Rattern der Räder dröhnte heftig in Sarahs Ohren, war aber auch das Signal, alles auf eine Karte zu setzen. Sie rannte den halben Block zum Bahnhof, stürmte, so schnell es ging, die Treppen hinauf, stieg über die Schranke und rannte auf den Bahnsteig. Nur einen winzigen Moment bevor die Türen schlossen, huschte sie in einen silbrig glänzenden Waggon. Erschöpft ließ sie sich auf die nächste Sitzbank fallen.
Durch das Fenster sah sie, dass es wieder zu schneien begonnen hatte.
Ethan fuhr über die Michigan Avenue nach Süden und bog nach rechts. Seit zwei Stunden kurvte er schon durch die Innenstadt, ohne einen Fahrgast mitzunehmen.Obwohl er mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Sarah bei der Polizistin eingestiegen war, suchte er nach ihr, als hätte ihm eine geheimnisvolle Stimme verraten, dass sie schon wieder vor den Killern auf der Flucht war.
Verrückt eigentlich, denn warum sollte sie vor den Cops davonlaufen, wenn sie dort endlich in Sicherheit wäre? Die Polizei würde sie vor den Killern beschützen, besser, als er es vermochte.
Er bog in die Wabash Avenue und fuhr unter den Schienen der Hochbahn nach Süden. Aus den Lüftungsschächten in seinem Wagen strömte Heißluft. Die Seitenfenster waren beschlagen. Draußen war es so ungemütlich und kalt, dass kaum jemand unterwegs war.
Vor lauter Anspannung saß er leicht nach vorn gebeugt, die Hände fest um das Lenkrad geschlossen. Seine Augen suchten die Gehsteige nach Sarah ab. Die Straße war frisch geräumt, doch auf den Bürgersteigen und den parkenden Autos lag Schnee. Der Wind blies vom See herauf und trieb eisige Schleier durch die Häuserschluchten. Die dunklen Häuserfronten wirkten feindselig.
Eine Hochbahn ratterte über ihn hinweg. Durch das stählerne Gerüst flackerte helles Licht. Nur für einen Moment glaubte er Sarah zu erkennen, wie sie im Bahnhof verschwand, wahrscheinlich ein Trugbild, das ihm die Lichter im feuchten Nebel vorgaukelten. Sah er jetzt schon Gespenster?
Er fuhr am Bahnhof vorbei und parkte am Straßenrand. Im Rückspiegel sah er, wie zwei Männer aus
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