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Winterkill

Winterkill

Titel: Winterkill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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dem Bahnhof kamen und in einen Lexus stiegen.
    Die Männer, die Sarah verfolgten, fuhren einen Escalade, also konnten sie es nicht sein. Oder hatten sie den Wagen gewechselt?
    Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, als säße einunsichtbarer Gast in seinem Taxi. Die Heißluft versiegte und aus den Schlitzen strömte plötzlich nur noch kalte Luft. Er drehte an den Knöpfen der Klimaanlage, ein älteres Modell wie auch das Taxi, und erreichte lediglich, dass die eisige Luft noch kraftvoller in den Innenraum strömte. Als hätte jemand alle Fenster geöffnet, füllte sich der Innenraum mit eisig kalter Luft. Knisternd legte sich eine dünne Eisschicht über das Armaturenbrett, wanderte über die Lenksäule und das Lenkrad bis zu Ethans Händen und kroch seine Arme hinauf. So wie auf der Michigan Avenue, als er Sarah kennengelernt hatte, spürte er plötzlich eine seltsame Taubheit, die bis in seinen Kopf kletterte und dabei war, alle Gedanken zu ersticken.
    Ethan schloss die Augen und öffnete sie wieder, versuchte verzweifelt, Klarheit in seine Gedanken zu bekommen. Der Wendigo, erinnerte er sich, hatte Sarah nicht von dem indianischen Monster gesprochen, das mit den Winterstürmen aus dem hohen Norden kommt und sich auf hilflose Menschen stürzt? Unsinn, vertrieb er den Gedanken gleich wieder, die Klimaanlage hat versagt, ist ja kein Wunder bei so einem verrosteten Karren.
    Seine Gedanken verblassten und eine fremde Macht übernahm das Steuer. Zügig, aber nicht zu schnell fuhr er weiter nach Süden, aus dem Loop hinaus und an den Schienen der Hochbahn entlang in die Vororte. Die Wolkenkratzer blieben im Rückspiegel zurück, verblassten im nächtlichen Nebel.
    Vor seinen Augen verschwamm alles, wie nach einem schweren Sturz. Die dunklen Umrisse der Lagerhallen westlich der Straße, die Lichter in den Häusern und der wenigen anderen Autos. Seine Hände lagen nur noch locker auf dem Lenkrad, hatten keine Gewalt mehr über die Richtung, die das Taxi einschlug. Wie von Geisterhandgelenkt kämpfte sich der Wagen durch den Schnee, der plötzlich wieder vom Himmel fiel. Dicke Flocken tanzten vor seiner Frontscheibe und glitzerten im schwachen Licht der Straßenlampen.
    Erst als er die Hochbahn links an sich vorbeifahren sah, erwachte so etwas wie Widerstand in seinem Inneren. Ein winziger Funke, der verzweifelt versuchte, gegen die eisige Kälte in seinem Körper anzukämpfen. Angeregt durch die erleuchteten Fenster des Zuges und ein Gesicht, das er selbst aus dieser großen Entfernung zu erkennen glaubte. »Sarah!«, flüsterte er. Er fühlte sie mehr, als dass er sie sah. »Sarah! Ich komme zu dir.«
    Doch die fremde Macht war stärker und zwang seinen Wagen in eine dunkle Nebenstraße. Ein Industriegelände beim Güterbahnhof, ein unübersichtliches Gebiet mit Lagerhallen, Schuppen und flachen Bürohäusern. Dahinter ein Gewirr von Schienen, der Güterbahnhof, in dem vor hundert Jahren das Vieh für die Schlachthöfe angekommen war. Gleise und Rampen, abgestellte Wagen, leuchtende Signale. Der einsame Pfiff eines Bediensteten, der gezwungen war, bei diesem Wetter einen Zug zusammenzustellen. Eine Diesellok schob zwei Güterwagen über ein Gleis, hob sich dunkel gegen die Lichter ab.
    Sein Wagen rollte eine leicht abschüssige Straße hinunter und blieb auf einem Bahnübergang stehen. Es waren die Gleise der Hauptstrecke, aber das war Ethan in diesem Augenblick nicht bewusst. Hier kamen vor allem Güterzüge vorbei, die weiter nach Norden fuhren, schwere Dieselloks, manchmal sogar zwei oder drei mit langen Wagenkolonnen. Es gab keine Schranke, nur zwei Warnsignale. Die Straße wurde wenig benutzt, eigentlich nur von den Angestellten, die für die Bahn oder in einem der Lagerhäuser arbeiteten.
    Wie von selbst schaltete sich der Motor seines Taxis aus. Der Wagen stand auf einem der beiden Gleise. Die Scheinwerfer erloschen. Ethan saß wie versteinert hinter dem Lenkrad, unfähig auch zur kleinsten Bewegung, und starrte in die Dunkelheit, als würde er nur darauf warten, dass ihm einer der schweren Güterzüge entgegenkam. Seine Augen hatten sich rötlich verfärbt, und in seinem Kopf schien ein fremdes Wesen zu lachen, als machte sich jemand lustig über seinen nahen Tod.
    Das Rotlicht unter dem Warnkreuz begann zu flackern und eine Glocke schlug an, warnte Autofahrer und Fußgänger davor, die Gleise zu betreten. Aus der Ferne war bereits das dumpfe Tuten eines Güterzugs zu hören. Die Stirnlampe der vorderen Lok tauchte

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