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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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Nacht, mit dunklen Wasserflecken auf dem kostbaren Samtrock. Ihre Haltung war bewundernswert. Und doch wirkte sie unsicher und ratlos wie ein verängstigtes Schulmädchen.
    „Nein“, sagte Sophie behutsam, „Sie sind nicht hilflos. Nicht hilfloser als jede andere Mutter mit einem kranken Kind.“
    Blanka schüttelte den Kopf. „Ich weiß so wenig“, flüsterte sie, „und als Johanna anfing, so schrecklich zu wimmern … Als sie nicht mehr richtig schlucken konnte …“
    Sophie nickte stumm. Das Geräusch hatte ihr auch das Herz zerrissen.
    „Ich war so verzweifelt.“ Frau von Rapps Stimme war kaum noch zu verstehen. „Ich hätte ihr am liebsten den Mund zugehalten, verstehen Sie?“ Sie blinzelte. „Was für eine Mutter bin ich nur …“
    Ihre Hand streichelte immer noch Johannas Arm, auf und ab, auf und ab, in liebevoller Sinnlosigkeit. Sophie hätte am liebsten ihre eigene Hand darübergelegt, die schlanken Finger gedrückt, bis sie zur Ruhe kamen. Aber das war nicht möglich, und so sagte sie nur, so warm und herzlich, wie sie konnte:
    „Sie sind eine gute Mutter. Es ist schwer, das eigene Kind so klagen zu hören und nicht helfen zu können. Sie müssen Geduld haben, gnädige Frau. Ich weiß, das ist das Allerschwerste.“
    „Aber vielleicht brauchen wir Hilfe, vielleicht schaffen wir es nicht allein?“ Jetzt wandte Blanka von Rapp sich Sophie zu, mit einem so gequälten Ausdruck, dass es Sophie in die Seele schnitt. „Sollen wir nach dem Arzt schicken? Aber wen denn nur? Und selbst, wenn wir jemanden wüssten und er würde gleich losreiten – es ist nur noch die alte Stute im Stall, und zur Stadt ist es so weit. Wenn doch Herr von Rapp hier wäre! Er wüsste, was zu tun ist.“
    Sophie war sich da nicht so sicher. In ihrer Erfahrung waren die Väter immer die Hilflosesten von allen, wenn es um die Krankheiten ihrer Kinder ging.
    Sie sah zum Fenster hinüber. Der Morgen wirkte trüb, und hinter den Tüllgardinen trudelten einzelne Schneeflocken vorbei.
    „Wenn Sie jemanden schicken wollen“, sagte sie, „dann müsste es bald sein. Es fängt wieder an zu schneien. Wenn wir Pech haben, wird …“
    Lautes Pochen hallte durch das Haus, durch die offene Tür des Kinderzimmers. Mit einem Aufschnarchen fuhr Lieschen in die Höhe und stieß sich den Kopf an der Dachschräge. Das Holzpferd fiel polternd um. Johanna jammerte leise im Schlaf.
    „Wer ist das?“, fragte Blanka verwirrt. „Frau Herrman hat doch ihren eigenen Schlüssel!“
    „Ich – ich geh schon, gnä’ Frau“, Lieschen blinzelte schlaftrunken, nestelte ungeschickt an ihren Haaren herum, die ihr vom Kopf abstanden wie ein Heiligenschein. Als sie aufstehen wollte, trat sie sich selbst auf das Schürzenband und stürzte beinahe. Sophie schüttelte rasch den Kopf.
    „Geh du nach unten in die Küche“, sagte sie, „und sorg dafür, dass die gnädige Frau ein Frühstück bekommt. Und bring neuen Tee für das kranke Fräulein! Ich kümmere mich um die Haustür. Wenn“, es fiel ihr viel zu spät ein, „wenn es Ihnen so recht ist, gnädige Frau …?“
    Blanka nickte nur. Sie sah so aus, als bräuchte sie all ihre Kraft, um nicht vom Stuhl zu fallen.

    Als Sophie auf der Treppe war, klopfte es wieder, noch lauter, fordernder diesmal, und wieder, als sie in der Halle ankam. Sie riss die Haustür so heftig auf, dass der Schwung sie fast mit nach draußen schleuderte.
    „Wir haben einen Krankheitsfall!“
    „Verzeihung, Frollein, das konnt’ ich doch nicht wissen.“
    Willem trat einen Schritt zurück. Er lächelte unsicher und drehte die Schirmmütze in der Hand. Winzige Schneeflocken setzten sich auf seine langen Wimpern.
    „Oh.“ Sophie runzelte verdutzt die Stirn. „Nein, natürlich nicht. Aber ich verstehe nicht … Gibt es irgendein Problem?“
    Willem betrachtete sie.
    „Schwere Nacht gehabt, wie?“
    Ihre Hände flogen hoch zu den verwirrten Haarsträhnen, Schamröte stieg ihr ins Gesicht. Willem lachte freundlich.
    „Wir auch, Frollein, wir auch, machen Sie sich nichts draus. Die Wanne Zwo – Sie haben sie gesehen, erinnern Sie sich? Is unsere neueste und größte. Scheint hier und da’n büschen schwach auf der Brust zu sein. Aber das hat nichts zu bedeuten, da muss sie nun einfach durch. Die Läuterung is dran. Man muss sich nach dem Glas richten. Wenn’s soweit ist, ist es eben soweit.“
    Er verstummte, sah sie aufmunternd an, als wäre damit alles Wesentliche gesagt.
    „Verzeihen Sie“, sagte Sophie, „ich

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