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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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mit seinem Tuch abgetrocknet.
    Sie zerrte, es gab einen Ruck, und der eingewickelte Edelstein flog durch die Luft, ein blassrotes Bündel im schwindenden Licht. Schnee stäubte auf, als er irgendwo hinter dem schneebedeckten Abfallberg landete.
    Etwas regte sich dort. Ehe sie es noch richtig wahrgenommen hatte, tauchte schon eine Gestalt auf, schmaler, kleiner als Willem, aber immer noch viel größer als sie selbst. Schwacher Bierdunst wehte sie an. Etwas krächzte hohl, wie eine weit entfernte Krähe.
    „Schmeißense nich nach mir, wennse ihm böse sind.“
    Marek. Ausgerechnet Marek.
    Er hustete noch einmal, bückte sich dann und hob den Stein im Taschentuch auf. Sie wischte sich fahrig über das Gesicht, schluckte die Tränen hinunter. Richtete sich auf und hob das Kinn an.
    „Behalten Sie das nur“, sagte sie mit zittriger Stimme. „Es sollte eine Geste sein – eine versöhnliche Geste an die Belegschaft. Ein Zeichen des guten Willens, bis der gnädige Herr zurück ist. Geben Sie es dem Hüttenmeister, sagen Sie ihm, die – gnädige Frau schickt mich. Dann bin ich wenigstens nicht umsonst durch die Kälte gelaufen.“
    „Die Gnädigste schicktse, Frolleinchen?“ Er kam langsam auf sie zu, eine leicht gebückte, schwarze Gestalt, wie ein lebendig gewordener Teil der Schatten. Sie musste sich zwingen, still stehen zu bleiben. „Hätt ich nich von ihr gedacht …“
    Oh Gott, wie lange stand er schon da? Sophies Gesicht fing an zu brennen, und nicht wegen der Hitze, die die Hütte ausstrahlte. Sie wäre am liebsten davongerannt, mit fliegenden Röcken. Stattdessen hob sie das Kinn noch weiter und starrte ihn so hoheitsvoll an, wie sie nur konnte.
    „Glauben Sie doch, was Sie wollen“, versetzte sie kalt, aber er zuckte nur die Achseln.
    „Vielen Dank auch, Frolleinchen. Das glaub ich jedenfalls nich. Ich glaub eher, dass Sie auf eigene Faust hergekommen sind. Wegen dem kranken Mädchen. Sindse nich die Gouvernante? Sehr mutig, das muss ich schon sagen. Und sehr dumm. Und mit dem Ding hier wolltense wohl Ihren weiblichen Reizen sicherheitshalber ‘n bisschen aufhelfen, was?“ Er warf den eingewickelten Stein in die Luft und fing ihn wieder auf. Die Art, wie er sprach, erinnerte sie plötzlich an Berlin, obwohl noch etwas anderes darin mitschwang, ein härterer, rauerer Ton. Erst jetzt, als sie ihn zum ersten Mal länger reden hörte, fiel es ihr auf. Aber was half ihr das schon? „Frolleinchen“, sagte er jetzt, „ich bin nur’n einfacher Glasmacher und weiß nicht viel, aber über eins bin ich mir wirklich sicher: Bei diesem Wetter kriegense keinen Doktor vor die Tür, der was taugt. Nicht wegen ei’m kleinen Mädchen, das vielleicht Scharlach hat, vielleicht aber auch nur ein bisschen Halsweh. Das könnense vergessen. Also, ganz umsonst, Ihr großes Opfer hier. Wenn’s denn ein Opfer war.“
    Er war jetzt nah genug, dass sie sein Gesicht sehen konnte. Es verzog sich zu einem schmalen Grinsen.
    „Was erlauben Sie sich“, fauchte sie ihn an. Er ignorierte sie wieder, blieb stehen und betrachtete das kleine rote Bündel in seiner Hand.
    „Jetzt frag ich mich ja doch, wasse uns denn mitgebracht ham …“
    „Nicht“, rutschte ihr heraus, aber er hatte das Taschentuch schon auseinandergewickelt. Der blasse Edelstein fing die letzten Lichtstrahlen ein und glitzerte matt auf dem karierten Stoff.
    Marek musterte ihn, und etwas wie Überraschung schien über seine Miene zu ziehen. Das Grinsen flackerte kurz auf und verschwand dann. Er hob den Kopf, seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. Sie konnte den Ausdruck darin nicht deuten.
    „Frolleinchen“, sagte er leise und unvermittelt ernst, „nehmense mal einen guten Rat von mir an. Wickelnse das – Ding wieder ein, verstauense’s in Ihrem feinen Mäntelchen und rennense damit zurück zum Herrenhaus. Is besser für Sie, glaubense mir.“
    Der abrupte Wechsel verwirrte Sophie.
    „Warum sollten Sie mir einen guten Rat geben wollen?“, fragte sie spitz.
    „Weilse so’n nettes kleines Frolleinchen sind“, antwortete er mit einem ironischen Augenfunkeln.
    „Und Sie sind ein grässlicher, herumschnüffelnder, unhöflicher, schrecklich übelriechender Mann!“, entfuhr es ihr. Sie schlug sich auf den Mund. „Oh – oh Gott, verzeihen Sie, das – das wollte ich nicht sagen!“
    Er senkte den Blick, als wäre er verlegen, aber sie hörte sein leises, heiseres Lachen. „So, wolltense nich? Man soll sich nie für die Wahrheit entschuldigen,

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