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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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zaghaft.
    Die Mutter lachte leise. „Mein kleines dummes Mädchen. Es hat doch geholfen gegen das Fieber, oder nicht? Und es kann noch viel mehr als das. Du musst es jetzt trinken, wir haben nicht viel Zeit.“
    Sie setzte sich und stieß dabei leicht gegen das Tischchen. Die Flüssigkeit in der braunen Flasche bewegte sich. Sie war sehr trüb, selbst durch das dunkle Glas hindurch. Es sah nicht aus wie etwas, das man trinken wollte.
    Die Mutter war Johannas Blick gefolgt. „Die Mischung ist mir nicht so gut gelungen, fürchte ich. Aber ich habe es probiert und ich weiß, dass es nicht zu stark sein wird für dich. Und ich habe dir auch noch etwas anderes mitgebracht.“
    Sie legte einen Apfel neben das Fläschchen auf den Tisch.
    „Eine Belohnung für ein braves kleines Mädchen.“
    Der Apfel leuchtete im schummrigen Licht. Rund, rot und glänzend. Wie süß er wohl schmecken würde … Es musste einer der letzten Augustäpfel sein, die noch übrig waren. Man bekam sie im Winter nur zu ganz besonderen Gelegenheiten.
    Johanna lief das Wasser im Mund zusammen. Seit Tagen hatte sie nicht solchen Appetit gehabt. Sie wollte den Apfel, aber etwas warnte sie. Etwas, das mit Mutters Stimme zu tun hatte, diesem weichen, kühlen Ton. Und mit dem Blick, mit dem sie Johanna ansah. Woran erinnerte er sie? Die Gedanken in Johannas Kopf bewegten sich nur langsam.
    „Wo – wo ist denn Fräulein Sophie?“, fragte sie. Die Mutter bekam eine kleine, steile Falte auf der weißen Stirn. Aber sie schimpfte nicht. Sie sagte nur ruhig:
    „Sie ruht sich in ihrem Zimmer aus. Du brauchst sie jetzt nicht. Ich bin bei dir.“
    „Und Lieschen?“
    Die Falte wurde tiefer. „Lieschen ist ein dummes, unzuverlässiges Ding, wie alle Dienstmädchen. Sie hat sich“, die Mutter verzog die Mundwinkel, „aus dem Haus geschlichen, um ihren Galan zu treffen. Wieder einmal. Ich habe sie beobachtet, wie sie draußen vorbeihuschte. Sie sind alle so. Denk nicht mehr an sie.“
    Johanna wusste nicht, was ein Galan sein mochte, und sie wagte nicht, danach zu fragen. Das unbehagliche Gefühl wurde stärker. Die Mutter schimpfte nicht wie beim letzten Mal. Aber ihre Stimme war noch kälter geworden. Und ihre Augen … Was war das nur mit ihren Augen? Johanna spürte, dass es wichtig war. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, aber sie war so benommen, ihr Kopf fühlte sich an wie mit warmer Watte ausgestopft.
    „Komm“, sagte die Mutter, „es wird dir gut tun.“ Sie beugte sich über Johanna, ihr Gesicht war plötzlich ganz nah. Die behandschuhten Hände zogen Johanna an den Schultern nach oben, bis sie mit dem Rücken am Bettgestell lehnte. So groß, so unendlich groß, diese hellen, glänzenden Augen … Johanna starrte zu ihnen auf.
    Glasaugen, durchfuhr es sie. Die sehen aus wie die Glasaugen meiner Puppen!
    Sie zuckte zurück, sie konnte nicht anders, und sie stieß sich den Hinterkopf am Bettgestell. Es tat weh, der Schmerz fuhr wie ein greller Blitz in ihre verschwommenen Gedanken hinein. Mit einem Mal fühlte sie sich hellwach.
    „Ich möchte das lieber nicht trinken“, sagte sie noch einmal und sah zu der trüben Flüssigkeit im Fläschchen hinüber.
    „Du bist eigensinnig, Johanna“, antwortete die Mutter, und ihr Mund verzerrte sich leicht. „Aber du wirst lernen. Wenn du erst wieder gesund bist, wirst du lernen, wie sich eine junge Dame benimmt. Ich helfe dir dabei. So, wie ich dir auch jetzt helfe.“ Sie schien zu überlegen. „Wir werden beide davon trinken, du und ich. Dann siehst du, dass du dich nicht fürchten musst. Ich hatte kein Lavendelwasser mehr, aber es schmeckt eigentlich nach nichts. Und nachher essen wir gemeinsam den Apfel. Wäre das nicht schön?“ Sie lächelte mit farblosen Lippen und stand auf. Ihr Rock rauschte. Das Geräusch ließ Johanna frösteln. Es erinnerte sie an ihre Träume, die bösen schwarzen Träume … Sie zog die Bettdecke höher und sah ihrer Mutter zu, wie sie die oberste Schublade der Kommode öffnete, in der Johannas Malstifte lagen, das Seidenpapier, mit dem sie manchmal Blumen bastelte, und ihre Ausschneidebögen. Als sie zurückkam, hatte sie das alte schmale Federmesser in der Hand, das Johanna nicht alleine benutzen durfte. Sophie schnitt ihr damit die schwierigen Stellen aus, die Bänder an den Kleidern von Balldamen oder das feine Häubchen einer Mamsell. Sophie! Wenn sie nur bei ihr wäre! Als die Mutter sich wieder an den Tisch neben dem Bett setzte, das scharfe Messer in der

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