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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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die gesprochen hatte. Aber sie konnte es nicht glauben.
    Ihr Mund tat es noch einmal. „Nein“, sagte er wieder, lauter, trotziger.
    In dem weißen Gesicht über ihr verzogen sich die Lippen unwillig.
    „Kind“, sagten sie, immer noch sanft, aber mit einer scharfen Spur von Ungeduld, die Johanna schaudern machte, „Kind, du weißt nicht, was du redest. Du bist zu jung, um es zu wissen. Ich will nur das Beste für dich. Warum vertraust du mir nicht? Habe ich dir jemals geschadet?“
    Johanna wartete, aber ihr Mund blieb stumm. Ja, wollte er sagen; es fühlte sich so an, als ob Ja die Wahrheit gewesen wäre. Aber war es auch die Wirklichkeit? Hatte es denn einen Schaden gegeben? Da war die Übelkeit gewesen, immer, wenn sie das Mittel aus der braunen Flasche hatte trinken müssen. Aber war sie nicht jedes Mal auch wieder vergangen? Und war das Fieber nicht wirklich weniger geworden? Und trotzdem … das Nein wollte ihr nicht über die Lippen. Sie schwieg, und je länger das Schweigen andauerte, desto klarer wurde ihr, dass ihr Mund nicht mehr von alleine weitersprechen würde.
    „Ich weiß nicht“, sagte sie schließlich kleinlaut. „Ich weiß es ehrlich nicht. Ich weiß nicht einmal mehr wirklich, wer du bist.“
    Die glänzenden Augen strichen über ihr Gesicht.
    „Ich bin deine Mutter. Ich weiß, was gut für dich ist.“
    Das braune Fläschchen tauchte auf, wie durch Zauberei.

    Das Schlafzimmer im Herrenhaus war leer. Nur der große Spiegel fing Lieschens Bewegungen auf, als sie daran vorbeilief, ins Ankleidezimmer, wo sich auch niemand aufhielt, und zurück.
    „Gnä’ Frau? Gnä’ Frau?“
    Sie musste nach oben gegangen sein, zum kleinen Fräulein. War wohl auch besser so. Wahrscheinlich hatten sie doch den Lärm gehört, und das Kind hatte es mit der Angst zu tun bekommen. Sie hätte nicht weggehen und das Mädchen allein lassen dürfen … Aber was tat man nicht alles für ein paar schöne blaue Augen? Lieschen wagte es, sich einen Moment auf das Bett zu setzen, und stützte das Kinn in die Hände. Ob sie wohl zurechtkamen, oben bei der Hütte? Es hatte schlimm geklungen, was dieser Marek gesagt hatte. Und Willem, der sich sonst doch immer über ihn lustig machte – Willem hatte Schrecken in den Augen gehabt. Das hatte sie noch nie gesehen. Wie er sich wohl fühlte, wo er doch mit ihr weggewesen war, als das Unglück anfing?
    Lieschen seufzte. Er tat ihr leid. Obwohl er das Fräulein Sophie geduzt hatte, vorhin. Sie hatte es sehr wohl gehört. Mien Deern … Was hatte er sich dabei gedacht? War das wieder sowas wie mit dem hübschen Stubenmädchen vom Nachbargut? Wochenlang hatte Lieschen sich die Augen aus dem Kopf geheult wegen der. Würde das jetzt wieder losgehen? Aber Sophie würde nicht – sie würde doch sicher niemals … Lieschen seufzte noch einmal. So war das eben mit den Männern. Man hatte sie nie wirklich sicher, solange sie einen nicht geheiratet hatten. Und selbst dann …
    Sie stand auf, strich die Überdecke wieder glatt. Es hatte keinen Sinn zu grübeln. Immerhin hatte sie ja schon vier Bettlaken und zwei Kopfkissenbezüge für die Aussteuer beisammen, oder nicht? Der Gedanke an die Leinenschätze in ihrer kleinen Truhe munterte sie auf. Das wird schon alles, sagte sie sich, als sie das Schlafzimmer verließ und nach oben stieg, zum Dachboden. Das wird schon alles. Das mit der Hütte und das mit Willem, und das kleine Fräulein wird auch bald –
    Die Dachbodentür stand halb offen. Und das Zimmer war leer.
    Kalte Angst fuhr Lieschen in alle Glieder. Die Decke auf dem Kinderbett war zerwühlt. Der kleine Stuhl lag umgestoßen auf dem Boden. Unter dem Fenster stand das Holzreh und sah aus den bemalten Augen stumm zu ihr auf.
    „Fräulein Johanna?“, fragte sie. Ihre Stimme wackelte. Niemand antwortete. Das ganze Haus schwieg stumm.
    „Was … was ist passiert …“
    Zögernd ging Lieschen weiter in den Raum hinein. Bückte sich, nahm, ohne zu wissen warum, das Holzreh auf. Hielt es im Arm und drückte es an sich. Es half ein wenig gegen das Zittern in ihrem Innern. Ratlos blieb sie stehen.

    Die Kisten waren schwer. Sophie wuchtete eine in die Höhe, der Staub und der Dreck in dem alten Kegelturm ließen sie husten. Zu Dutzenden waren die Kisten dort in hohen Stapeln aufgeschichtet, sodass der Raum viereckig wirkte, weil die runden Turmwände hinter Kistenschichten verschwanden. Und alle voller Holzwolle und Packpapier. Bestes Brennmaterial … Immer wieder warf Sophie

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