Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)
kommen sollte, Wesselow dazu, Mervyn zu kontaktieren. Die Presse sei interessiert, und Mervyn solle noch einmal versuchen, sich dem sowjetischen Ministerpräsidenten zu nähern und ihm einen Brief zu überreichen. Mervyn war skeptisch. Ein weiterer Brief, nach all den anderen, die zweifellos ungelesen geblieben waren, würde wahrscheinlich auch nichts bewirken. Aber die öffentliche Aufmerksamkeit könnte helfen.
Expressen , eine schwedische Tageszeitung, war hoch erfreut, als Mervyn anrief. Eine Liebesgeschichte war genau das, was gebraucht wurde, um die eher trockene Geschichte über Kossygins Besuch aufzupeppen. Die Zeitung erklärte sich bereit, einen Teil von Mervyns Reisekosten zu übernehmen. Die Ausgaben meines Vaters für seine ständigen Reisen waren inzwischen so viel höher als sein Einkommen, dass er in Erwägung zog, seine Wohnung in Pimlico zu verkaufen und sich etwas Billigeres in den Vororten zu suchen.
Mervyn kam am Vorabend von Kossygins Besuch in Stockholm an und wurde im Hotel Apolonia untergebracht. Am nächsten Morgen holten ihn ein Journalist und zwei Fotografen in einem Wagen der Expressen ab, bewaffnet mit einem detaillierten Plan von Kossygins Route. Der Plan war, Kossygin den Brief zu überreichen, wenn er ins Schloss Haga fuhr, das Gästehaus der Regierung. Im Schlosspark hatte er Zeit, einen Brief an Mila zu schreiben.
»Wie Du Dir denken kannst, bin ich nach Stockholm gereist, um Alexei Nikolajewitsch [Kossygin] zu treffen und ihm, wenn möglich, einen Brief zu überreichen … Jetzt sitze ich gerade in dem beschaulichen Park, der die Residenz umgibt. Er sollte in einer Stunde hier sein. Das Schloss ist sehr groß, davor liegt ein wunderschöner See, auf dem im Moment ein Polizeiboot ist. Eine typische Ecke Skandinaviens, ziemlich traurig. Ich bin froh, dass man nicht auch noch dafür bezahlen muss, auf Bänken zu sitzen, aber eines Tages werden sie sicher Münzautomaten dafür aufstellen.«
Als es so weit war, hielt das massive Polizeiaufgebot Mervyn und das Expressen -Team von Kossygins vorbeirasendem Auto fern. Die Männer von der Expressen gingen sofort anschließend, und Mervyn wanderte ziellos in Kossygins Kielwasser herum. Spät am Nachmittag beschloss er, die schwedische Polizei um Hilfe dabei zu bitten, Kossygin und seiner Tochter den Brief zu überreichen. Doch er wurde verhaftet und bis zum Abend in eine Zelle gesteckt. Schließlich ließ man ihn ohne weitere Erklärungen wieder gehen, und er machte sich müde und aufgebracht auf den Weg zu Wesselow. Wesselow war voller freudiger Entrüstung.
»Schrecklich! Und das in einem sogenannten zivilisierten Land! Aber genau das haben wir gebraucht. Damit könnten wir den Fall gewinnen! Kommen Sie, wir müssen ins Büro der Expressen , vielleicht kriegen wir noch was in die morgige Ausgabe.« Wesselow war grimmig entschlossen und streitlustig. »Der Polizeibeamte muss bestraft werden, und wir schreiben dem Innenminister einen Brief.«
Am nächsten Tag erschien die Geschichte von Mervyns Verhaftung in der Expressen und außerdem im Aftonbladet und im Dagens Nyheter , mit einem Foto eines verhärmten Mervyn am Telefon. Mervyn wurde irgendwo zitiert, er habe gesagt, Schweden sei wie ein Polizeistaat, was einen einzigen Brief eines entrüsteten schwedischen Lesers nach sich zog, der Mervyn aufforderte, mehr Respekt für die Gesetze eines fremden Landes zu zeigen.
Doch alles in allem war er nicht weitergekommen und steckte schließlich seine beiden Briefe in einen Briefkasten. In der britischen Presse waren etwa ein Dutzend kleiner Artikel erschienen und in der deutschen Bild -Zeitung ein doppelseitiger Bericht, doch Mervyn wurde klar, dass er nach vier Jahren keinen Schritt weitergekommen war in seinen Bemühungen, Mila aus Russland herauszuholen.
Im Dezember 1968, als Derek und Mervyn aus dem Audley Pub in Mayfair kamen, entdeckten sie ein sowjetisches Diplomatenauto, Kennzeichen SU 1, vor der Gesandtschaft der Arabischen Emirate. Sie kamen mit dem Chauffeur ins Gespräch, der ihnen sagte, der sowjetische Botschafter Michail Smirnowski und seine Frau müssten jeden Augenblick kommen. Mervyn und Derek warteten auf dem Gehsteig neben dem Auto, bis die beiden aus der Gesandtschaft herauskamen. Mervyn trat an sie heran, und sie erkannten ihn beide sofort. Smirnowskis Frau sah alarmiert aus.
»Herr Smirnowski, warum können wir nicht heiraten?«, fragte Mervyn.
»Wir sind über den Fall unterrichtet«, sagte Smirnowski nervös, als
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