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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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Mutter, was los sei. Marta antwortete nicht und schickte sie ins Bett.
    Am Abend zuvor war Sergei Kirow von einem einzelnen Attentäter in seinem Büro in der Parteizentrale im Smolny-Institut in Leningrad erschossen worden. »Wir sind verloren«, sagte Bibikow, als er um den Mann weinte, den er so bewundert hatte. Aber weinte er auch um sich? Weinte er aus Zorn, weil er sich zu sehr mit der Verliererseite identifiziert hatte? Bei aller sorgfältig gepflegten proletarischen Schroffheit muss Bibikow ein politisches Tier gewesen sein, ein Mann des ZK, mit dem Gespür eines aufsteigenden Sterns dafür, woher der Wind weht. Als Bibikow auf dem Sofa um Kirow weinte, muss er über die nun so gefährlichen Gespräche im Januar nachgegrübelt haben und darüber, ob er wohl zu viel gesagt hatte.
    Und doch fiel der Hammer nicht sofort. Auch Stalin weinte öffentlich auf Kirows Beerdigung und trat als Hauptsargträger auf, als Kopf der trauernden Nation. Er hatte Zeit genug, sich an den Feinden im Herzen der Partei zu rächen, die er auf dem Parteitag identifiziert hatte.
    Auf lokaler Ebene lief die Parteimaschine weiterhin störungsfrei. Die Produktivität des ChTS wurde weiter gesteigert, und die Hungersnot wich gnädig – wenn auch nur, weil die Millionen Toten nicht mehr ernährt werden mussten. Bibikow und drei weitere Verwaltungsmitglieder des ChTS wurden mit dem Leninorden Nr. 301 in einer Schachtel aus rotem Samt ausgezeichnet. Die Auszeichnung war nur der Auftakt zu noch Größerem. Ende 1935 kam die erwartete Beförderung. Bibikow wurde Parteisekretär der Provinz Tschernigow, in der hügeligen Landschaft der nördlichen Ukraine. Bibikow war erst 32 Jahre alt und auf dem besten Weg in eine erfolgreiche Zukunft – vielleicht eine Position im ukrainischen oder sogar nationalen ZK. Vielleicht sogar mehr.

    Nach den rauchenden Schornsteinen und quietschenden Eisenbahnknoten von Charkow muss der Umzug nach Tschernigow wie ein Schritt zurück in ein langsameres, älteres Russland gewesen sein. Der Kreml von Tschernigow mit seinen mittelalterlichen Kathedralen steht hoch über der träge dahinfließenden Desna. Baumbestandene Parks erstrecken sich bis ins Zentrum der Stadt, und im Sommer schweben überall die Pollen der Pappeln, die die Straßen säumen. Die gedrungenen, reich verzierten Häuser, die die wohlhabenden Kaufleute Tschernigows erbauen ließen, stehen bis heute, und die ganze Stadt hat sich einen Hauch vorrevolutionärer bürgerlicher Ehrbarkeit bewahrt. In der Stadt gibt es viele große Kirchen, die irgendwie vom Dynamit der Bolschewiken verschont geblieben sind. Tschernigow war vielleicht einfach zu abgelegen, um eine gründliche Säuberung der religiösen Gebäude zu rechtfertigen, zu fern der großen Industriezentren der östlichen Ukraine, in denen die Zukunft des Sozialismus geschmiedet wurde. Es war ein Provinznest, doch Bibikow war sich sicher, wenn er seinen neuen Parteiposten erfolgreich ausfüllte, dann müsste er nicht lange dort ausharren.
    Die Bibikows führten ein privilegiertes Leben. Die spartanische Parteimoral der frühen Dreißigerjahre ließ bereits nach. Die Elite gestand sich schnell Vergünstigungen zu, die sie über ihre Mitbürger erhob. Marta kaufte im exklusiven Parteiladen ein, und Bibikow hatte Anrecht auf Urlaub in den eigens erbauten Sanatorien am Schwarzen Meer. Jeden Monat gab Bibikow Marta ein kleines Buch mit Marken für importierte Lebensmittel, Textilien und Schuhe aus dem insnab , dem Laden für »ausländische Versorgung«. Die Familie zog in eine große Vierzimmerwohnung mit eleganten Möbeln, die für die neuen Herren von Tschernigow von einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie beschlagnahmt worden war. Dort schrubbte Warja die Töpfe der Bibikows mit Ziegelstaub, bis sie glänzten.
    Boris montierte Regale bis an die hohe Decke seines Arbeitszimmers und bestückte sie mit Büchern, die er in seinem großen Ledersessel las. Auf dem Heimweg von der Arbeit ging er oft in der örtlichen Buchhandlung vorbei und kaufte Kinderbücher für die Mädchen und ideologische Werke für sich selbst. Wenn Marta Lenina ausschimpfte, schlich diese sich auf Zehenspitzen in das Arbeitszimmer ihres Vaters und kletterte schluchzend auf seinen Schoß. »Wir sollten nicht über sie klagen«, sagte er dann. »Stärken wir lieber unsere Union.« Ein scherzhafter Verweis auf die aktuelle Parteisprache.
    In ihrem ersten Winter in Tschernigow begeisterten die Bibikow-Mädchen die Stadt mit ihrem

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