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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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mit der Schere grob abgeschnitten wurde und die Vollstreckung des Urteils bestätigt. Es gibt keinen Hinweis darauf, wo oder wie es vollstreckt wurde, doch die übliche Methode waren »neun Gramm«, das Gewicht einer Pistolenkugel, in den Hinterkopf. Die Unterschrift des befehlshabenden Offiziers ist unleserlich; das Datum ist der 14. Oktober 1937.

    In den zwei Tagen, die ich in Kiew saß und die Akte studierte, war Alexandr Panamarjew bei mir, ein junger Beamter des ukrainischen Geheimdienstes. Er las mir Passagen in kaum leserlicher kursiver Schrift vor und erklärte juristische Begriffe. Er war blass und intelligent, etwa so alt wie ich, ein ruhiger junger Mann, der aussah, als ob er noch bei seiner Mutter wohnte. Unter seiner aufgesetzten professionellen Schroffheit schien er fast so berührt wie ich von dem, was wir da lasen.
    »Das waren furchtbare Zeiten«, sagte er leise, als wir in der anbrechenden Dunkelheit der Wolodimirskajastraße eine Zigarettenpause machten. Über uns ragte drohend der Granitklotz des alten NKWD-Gebäudes auf. »Ihr Großvater glaubte, aber glauben Sie nicht, dass seine Ankläger ebenfalls glaubten? Oder die Männer, die ihn erschossen? Er wusste, dass Menschen erschossen worden waren, ehe er verhaftet wurde, aber hat er je etwas gesagt? Wie können wir wissen, was wir in der Situation getan hätten? Gott behüte uns davor, je einen solchen Test bestehen zu müssen.«

    Solschenizyn stellte einst die gleiche schreckliche Frage. »Wenn mein Leben anders verlaufen wäre, hätte ich dann nicht selbst zum Henker werden können? Wenn es nur so einfach wäre! Gäbe es doch böse Menschen, die heimtückisch irgendwo böse Taten verüben, und man müsste sie nur von uns anderen trennen und zerstören. Doch der Grat zwischen Gut und Böse verläuft mitten durch das Herz eines jeden Menschen. Und wer ist schon bereit, ein Stück seines eigenen Herzens zu zerstören?«
    Bibikow selbst hat wohl, rational, wie er war, die Logik seiner Henker voll und ganz verstanden, in den Kellern des Gefängnisses oder als er in seinen letzten Momenten mit dem Gesicht zur Mauer stand. Und vielleicht – warum nicht? – hätte er, wenn er in seinen frühen Tagen in der Partei anderen Menschen begegnet wäre, andere Gönner gefunden, selbst zum Henker werden können. Erklärte er die Hungersnot, die seine Partei über die Ukraine brachte, nicht als eine notwendige Säuberung von feindlichen Elementen? Betrachtete er sich nicht selbst als einen der Auserwählten der Revolution, der einer höheren Moral folgte? Bibikow war kein Unschuldiger; keine böse und fremde Macht, die über sein Verständnis hinausging, hatte Besitz von ihm ergriffen. Im Gegenteil, er war ein Agitator, ein Fanatiker der neuen Moral – der Moral, die nun für das übergeordnete Wohl sein Leben forderte, wie sinnlos das auch sein mochte.
    »Nein, es war kein Theater und auch keine Heuchelei, wenn sie in den Zellen das Vorgehen der Regierung verteidigten«, schreibt Solschenizyn. »Sie brauchten ideologische Argumente, um sich ein Gefühl der eigenen Richtigkeit zu bewahren – sonst war der Wahnsinn nahe.«
    Wenn Menschen zu Bausteinen der Geschichte werden, geben intelligente Männer die moralische Verantwortung ab. Und tatsächlich war die Säuberung – auf Russisch tschistka  – für die Verantwortlichen etwas Heroisches, so wie der Bau des Traktorenwerks für Bibikow heroisch war. Der Unterschied bestand darin, dass Bibikow seine persönliche
    Boris Bibikows erster Totenschein. Todesursache und -ort sind nicht eingetragen. Die Behörden bestätigten erst 1988 seinen Tod endgültig – dass Bibikow am 14. Oktober 1937 in der Nähe von Kiew erschossen und in einem Gemeinschaftsgrab bestattet worden war.
    Revolution aus echten Ziegelsteinen und Beton baute, während die Ziegelsteine des NKWD die Klassenfeinde waren. Jeder Hingerichtete war ein weiterer Stein im großen Bau des Sozialismus. Wer einen Tod für die große Sache billigt, billigt sie alle.
    In mancher Hinsicht war Bibikow vielleicht schuldiger als die meisten. Er war ein führendes Parteimitglied. Männer wie er gaben Befehle und stellten Listen zusammen. Die Ermittler an der Basis folgten diesen Befehlen. Waren diese Männer böse, wenn man bedenkt, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als zu tun, was ihnen befohlen wurde? War Leutnant Tschawin, ein Mann, der aus Parteisoldaten wie Bibikow Geständnisse folterte, nicht weniger schuldig als die Parteimenschen selbst,

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