Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)
bereit war, sich an der Organisation trotzkistischer Arbeit zu beteiligen. In unserem letzten Gespräch vereinbarten wir, eine trotzkistische Gruppe im ChTS zu gründen …‹«
»Frage an Bibikow: ›Bestätigen Sie die Aussage des Verdächtigen Fedajew?‹«
»Bibikows Antwort: ›Nein. Das ist eine Lüge. Ein solches Gespräch hat nie stattgefunden.‹«
»Diese Aussage wurde uns vorgelesen und ist korrekt. (Unterschrift) Fedajew. Der Angeklagte Bibikow verweigerte die Unterschrift.«
Doch letztendlich war sein Widerstand zwecklos. Zeugen waren nur die NKWD-Leutnants Slawin und Tschalkow, die die Gegenüberstellung durchführten, und Fedajew selbst, der wahrscheinlich zu viel Angst hatte, um Bibikows Widerstand für etwas anderes als masochistische Dummheit zu halten. Irgendwann brach Bibikow völlig zusammen.
»Im Charkower Traktorenwerk beschlossen wir, eine teure, komplizierte Maschine zu sabotieren, die entscheidend für die Produktion von Radschleppern war …«, schrieb er in winziger Handschrift in seinem letzten und am wenigsten detaillierten Geständnis. »Wir überredeten Ingenieur KOSLOW, ein Werkzeug in der Maschine zu lassen, sodass sie für lange Zeit kaputtgehen würde. Die Maschine allein kostete 40 000 in Gold, und es gibt nur zwei davon im ganzen Land … Im ChTS planten wir, eine Artilleriegranate aus dem Krieg in einen Hochofen zu werfen, um ihn für drei oder vier Monate funktionsunfähig zu machen … Ich rekrutierte auch meinen eigenen Stellvertreter, Iwan KAWIZKI, für die Organisation … Wir versuchten, die Arbeit des ChTS zu unterminieren, indem wir die Erfüllung der Aufträge für die Hammer-und-Sichel-Traktoren-Station verschleppten und die Lohnzahlungen an die Arbeiter hinauszögerten.«
Am Rand stehen unerklärliche Notizen in seiner Handschrift, die ihm offenbar diktiert wurden: »Wer, was, wann?« »Genauer.« »Welche Organisation?«
»Unser heimtückischer konterrevolutionärer Akt wurde nur durch die Wachsamkeit des Oberingenieurs GINSBURG vereitelt«, schließt das letzte Geständnis. »So habe ich meine Partei verraten. Bibikow.«
Die Manuskriptseite war sorgfältig in der Mitte durchgerissen. Über dem Riss ist eine Art Gekritzel erkennbar, als habe der Schreiber verzweifelt versucht, das Todesurteil auszulöschen, das er sich gerade selbst geschrieben hatte.
Dann verschwindet seine Stimme. Es folgen Auszüge aus Niederschriften anderer Angeklagter, in denen Bibikows Name erwähnt wird – 16 miteinander zusammenhängende Geständnisse, alle penibel getippt mit wütenden, fast das Papier durchdrückenden Kommas zwischen den Namen in Großbuchstaben: »SELENSKI, BUZENKO, SAPOW, BRANDT, GENKIN, BIBIKOW …«
Bibikow wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit am 13. Oktober vor die Militärkommission in Kiew gestellt, eine der sogenannten Troikas , bestehend aus drei Richtern, die hinter verschlossenen Türen die Fälle derjenigen verhandelten, die nach Artikel 58 des sowjetischen Strafgesetzbuchs angeklagt waren. Der Artikel schloss »jede Handlung, die auf den Sturz, die Unterhöhlung oder die Schwächung der Herrschaft der Räte der Arbeiter und Bauern abzielt«, mit ein. Der Beschluss des Gerichts ist lang und detailliert und wiederholt größtenteils Wort für Wort die in den Geständnissen beschriebenen Sabotageakte. Doch um das Maß vollzumachen, ergänzt die letzte Fassung die Anklage noch um das Ergebnis, Bibikow sei »Mitglied der k.r. [der Begriff kontr-rewolustjonnaja wird so oft verwendet, dass die Schreiber beginnen, ihn abzukürzen] trotzkistisch-sinowjewistischen terroristischen Organisation gewesen, die den gemeinen Mord an Genosse Kirow am 1. Dezember 1934 begangen und in den darauf folgenden Jahren terroristische Akte gegen andere Partei- und Regierungsmitglieder geplant und ausgeführt hat … Wir verurteilen den Angeklagten zur höchsten Form der Strafe: Er soll erschossen und sein Besitz beschlagnahmt werden. Gezeichnet A. M. ORLOW, S. N. SCHDANA, F. A. BATNER.«
Bibikow unterzeichnete ein Formular, das bestätigte, dass er den Richterspruch und das Urteil gelesen hatte. Das sind seine letzten dokumentierten geschriebenen Worte. Seine Unterschrift mit bürokratischer Genauigkeit unter der Akte, die die staatliche Version seiner Lebensgeschichte enthält. Der letzte Akt eines Lebens im Dienste der Partei.
Das letzte Formular der 79 Seiten der sogenannten Lebensakte, das dünnste von allen, ist eine Viertelseite Papier, die am unteren Rand
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