Winterkrieger
auf die Knie und stieß ihre Hände in die Erde. Anders als zuvor sickerte die Kraft nur langsam in sie, und sie spürte, wie ihre Anspannung wuchs. Ihre Angst verlangsamte den Fluss nur noch mehr. Sie kämpfte um Ruhe, aber es gelang ihr nicht »Mach schnell!« rief Nogusta. »Der Talisman wird warm!«
Ulmenetha sog tief die Luft ein und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Die Energie, die sie gesucht hatte, hatte ihr Blut erreicht aber es war nicht genug! Sie stand auf, lief zum Wagen und packte wieder die Trense. Sie konnte jetzt hören, wie sich das Biest näherte, als es durchs Unterholz brach. Die Angst ließ sie bei der dritten Zeile des Zaubers fehlen, und sie begann von vorn.
Die Magie entströmte ihr und floss über den Wagen und die Reiter.
Im hellen Mondlicht tauchte der gogarin vor ihnen zwischen den Bäumen auf. Jetzt konnten ihn alle zur Gänze sehen. Er war annähernd sieben Meter lang. Nogusta hatte ihn zuvor als sechsbeinig beschrieben, doch jetzt sah Ulmenetha, dass dem nicht so war. Die Hinter- und Mittelbeine waren kräftig und mit drei Gelenken versehen, doch die Glieder an den Schultern waren eher wie lange Arme, ausgestattet mit mörderischen Krallen, jede so lang wie ein Kavalleriesäbel. Es erhob sich auf die Hinterbeine und schnüffelte die Nachtluft ein. Eins der Ersatzpferde, das hinter dem Wagen angebunden war, stieg vor Entsetzen auf die Hinterbeine und zerriss seine Zügel. Es machte kehrt, galoppierte von der Straße in den Wald.
Der gogarin reagierte mit erschreckender Schnelligkeit ließ sich auf alle Glieder fallen und schnellte sich mit unglaublicher Kraft vor. Ulmenetha stand stocksteif, als er auf den Wagen zuraste. Dann bog er ab, hinter dem Pferd her. Die mächtigen Schultern streiften einen jungen Baum und entwurzelten ihn. Dann war er hinter ihnen verschwunden.
Das Pferd galoppierte weiter, und Ulmenetha hörte seinen Todesschrei.
Sie konnte sich nicht bewegen, sondern stand zitternd neben dem Gespann. Nogusta stieg ab und tastete sich vorsichtig an ihre Seite. »Wir müssen weiter«, flüsterte er. Ulmenetha antwortete nicht. Doch trotz ihres Entsetzens hielt sie den Zauber aufrecht Nogusta führte sie zum Wagen und hob sie auf den Kutschbock neben den fast unsichtbaren Bison. Dann stieg er wieder auf sein Pferd, ritt zu dem Gespann und ergriff die Zügel. Auf seine Ermunterung hin setzten sich die Pferde in Bewegung.
Ulmenetha konnte ihre Hände nicht dazu bringen, mit dem Zittern aufzuhören. Sie hielt die Augen fest geschlossen und schrie fast auf, als Bisons große Hand ihr Bein tätschelte. Er beugte sich zu ihr und flüsterte: »Großer Hurensohn, was?«
Seine Stimme war so ruhig, und die Kraft des Mannes schien durch sie zu fließen. Ulmenetha merkte, dass sie ruhiger wurde. Sie drehte sich um und blickte ängstlich nach hinten. Der Karren bewegte sich sehr langsam, und jeden Augenblick erwartete die Priesterin, die riesenhafte weiße Gestalt des gogarin hinter sich zu sehen.
Sie legten einen knappen Kilometer zurück. Langsam begann die Straße anzusteigen, bis sie einen zweiten Kammweg erreichten. Der Karren füllte fast zwei Drittel davon aus. Die Pferde waren müde, und zweimal musste Bison mit den Zügeln zuschlagen, um sie weiter zu treiben. Fast alle Kraft hatte Ulmenetha verlassen. Sie versuchte, frische Kraft aus den Bergen zu ziehen, aber das alte Gestein wollte seine Magie nicht preisgeben.
Sie leckte sich den Finger und hielt ihn in den Wind. Er kam von hinten. Ihr Geruch konnte nicht mehr in den Wald zurückdringen. Erleichtert ließ sie den Zauber fallen.
»Himmel, das ist besser«, flüsterte Bison.
Der Kammweg wurde ebener, und Bison gönnte dem Gespann eine Pause, damit es wieder zu Atem kam. Der Mond leuchtete hell, und der Wald lag tief unter ihnen.
Ein dünner Schrei kam hinten aus dem Wagen, als das hungrige Kind erwachte. Bison fluchte und fuhr herum. Axiana knöpfte ihr Kleid auf. Die Schreie des Kindes hallten in den Bergen wider. Die Königin riss an den letzten beiden Knöpfen, um ihre linke Brust zu entblößen. Das Kind beruhigte sich und begann zu saugen. Bison fluchte wieder und deutete auf den Wald.
Weit hinter ihnen war der gogarin aus dem Wald aufgetaucht und eilte rasch über die Straße.
Nogusta sprang aus dem Sattel. »Alle aus dem Wagen!« schrie er. »Kebra, hilf mir, die Pferde auszuspannen.« Der Bogenschütze kam heran und sprang vom Pferd. Er machte nicht einmal den Versuch, das Zaumzeug zu lösen, sondern
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