Winterkrieger
wäre nie mit euch gekommen«, sagte er.
»Ich bin froh, dass du es getan hast. Du hast mir vieles beigebracht.«
»Ich dir? Was hätte ich dir beibringen können?«
Kebra lächelte traurig. »Ich habe mich immer gefragt, wie es wohl wäre, einen Sohn zu haben, einen Jungen, auf den ich stolz sein könnte, jemanden, den ich aufwachsen sehen könnte. Du hast mir gezeigt, wie es hätte sein können. Und du hast ganz recht es gibt keinen Grund, weshalb du hier bleiben solltest. Es gibt nichts, das du tun könntest. Warum nimmst du nicht Pharis, Sufia und etwas Proviant und dann geht ihr in die Berge? Wenn ihr euch westlich haltet werdet ihr irgendwann das Meer erreichen. Ich gebe euch Geld. Ich habe zwar nicht viel, aber es wird helfen.«
Der Gedanke fortzugehen berührte Conalin wie die sanfte Brise nach einem Sturm, sie blies seinen Zorn und seine Angst fort. Er und Pharis würden in Sicherheit sein. Und doch: in diesem Augenblick war das nicht genug. »Warum kannst du nicht mit uns kommen? Ein Mann macht doch keinen Unterschied.«
»Es sind meine Freunde«, sagte Kebra. »Ein wahrer Mann lässt seine Freunde in der Not nicht im Stich.«
»Du glaubst also, ich sei kein Mann?« fragte Conalin.
»Nein, nein! Es tut mir leid, wenn es so geklungen hat. Du wirst ein guter Mann werden. Aber noch bist du sehr jung, und der Krieg ist nichts für …« Er wollte Kinder sagen, aber als er in Conalins junges Gesicht blickte, sah er den Mann in ihm, der darauf wartete, geboren zu werden. »Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt, Conalin«, schloss er.
»Und ich möchte nicht dass dir etwas passiert. Ich glaube, ich bleibe hier.«
Kebra räusperte sich und streckte die Hand aus. Conalin sah etwas verlegen aus, aber er packte sie fest. »Ich bin stolz auf dich«, sagte Kebra.
Sie saßen in angenehmem Schweigen eine Zeitlang, und Conalin blickte sich in dem gewaltigen Gebäude um. »Was war das?« fragte er.
»Ich weiß nicht«, gestand Kebra. »Aber es hat etwas von einem Tempel, findest du nicht?«
»Ich war noch nie in einem«, sagte Conalin. Sufia saß in ihrer Nähe auf dem Fußboden und wischte ihn mit dem zerrissenen Ärmel ihres Kleides sauber.
»Da sind Bilder auf dem Fußboden«, sagte sie glücklich.
Ulmenetha ging zu ihr und kniete nieder. »Man nennt das Mosaike«, erzählte sie dem Kind. »Sie werden aus ganz, ganz vielen farbigen Steinchen gemacht.«
»Komm und schau!« rief Sufia Conalin zu. Er ging zu ihr. Man konnte nicht mehr sagen, was das ursprüngliche Mosaik darstellte, denn viele der farbigen Steinchen waren durch herabgestürztes Mauerwerk zerbrochen, der Rest unter dem Staub der Jahrhunderte verborgen. Hier ein kleiner Flecken Blau, dort eine rote Linie. Es hätte eine Blume sein können oder ein Stück Himmel.
»Es ist sehr hübsch«, sagte er.
»Ich werde es ganz saubermachen«, sagte sie mit der Zuversicht der ganz Kleinen und begann ein Stückchen abzuwischen.
»Du wirst Wochen dafür brauchen«, sagte er mit einem Blick auf den ausgedehnten Tempel.
»Wochen«, wiederholte sie. »Das ist in Ordnung.« Sie rieb noch einen Moment weiter an den Steinchen, dann lehnte sie sich zurück. »Jetzt habe ich Hunger.«
Conalin hob sie auf und küsste sie auf die Wange. »Dann wollen wir mal was zu essen suchen«, sagte er. Er setzte sie auf seine Schultern und ging wieder hinaus in den Sonnenschein. Pharis saß auf den Stufen. Links von ihnen stand eine Reihe von sieben Karren. In der Nähe waren Kochfeuer entzündet worden, und die drei gingen los, um eine Mahlzeit zu suchen.
Als sie sich den Kochfeuern näherten, rief ein älterer Soldat sie an. Der Mann hatte eine hässliche Narbe im Gesicht und eine schwarze Klappe über dem, was einmal sein rechtes Auge gewesen war. Neben ihm stand ein Tisch mit Blechtellern. »Ihr seht aus, als könntet ihr etwas Warmes vertragen«, sagte er. Er ging zu einem riesigen schwarzen Kessel und löffelte einen dicken Eintopf in drei tiefe Teller und reichte sie den jungen Leuten. »Nehmt euch Löffel«, sagte er, »aber bringt sie mit den Tellern zurück, wenn ihr fertig seid. Dann habe ich noch Honigkuchen für euch.«
Conalin dankte dem Mann. Die Suppe war dick, nahrhaft und für seinen Geschmack etwas zu salzig. Aber er war ausgehungert und vertilgte sie mit Genuss. Der alte Soldat wartete nicht, bis sie mit dem Geschirr zurückkamen, sondern kam mit einer Platte voll Honigkuchen zu ihnen. Sufia schnappte sich zwei, dann sah sie Conalin ängstlich an
Weitere Kostenlose Bücher