Winterkrieger
Ulmenetha widerstand dem Sog und wandte ihre Aufmerksamkeit ihrer unmittelbaren Umgebung zu. Der Dachgarten des Palastes des verstorbenen Kaisers war ein wundervoller Platz im Sommer, wenn seine Terrassen vor Farben überquollen und der Duft zahlreicher Blumen die Luft erfüllte. Im Winter war es weniger schön, aber jetzt wo der Frühling vor der Tür stand, blühten gelbe und rote Primeln und die Kirschbäume waren voller Blüten mit spinnwebdünnen Blütenblättern aus blassem Korallenrot. Wie sie hier allein im hellen Sonnenschein saß, schienen alle Gedanken an Dämonen weit weg zu sein, wie ein Kindertraum in einem dunklen Schlafzimmer. Ulmenetha hatte ihre frühe Kindheit genossen. Eingehüllt in Liebe und voller Freude hatte sie in den Bergen gespielt, wild und frei. Die Erinnerung hob ihre Stimmung, und – für einen kurzen Augenblick – fühlte sie sich wieder als Kind. Ulmenetha drehte den Sitz immer wieder um seine Eisenketten. Dann ließ sie los und sah, wie sich die Berge vor ihren Augen drehten. Sie kicherte und schloss die Augen.
»Du siehst lächerlich aus«, tadelte Axiana streng. »Es gehört sich nicht für eine Priesterin, auf der Schaukel eines Kindes zu spielen.«
Ulmenetha hatte die Königin nicht kommen hören. Sie beugte sich vor, bis ihre Füße den Boden berührten und hielt die Schaukel an. »Warum sagst du das?« fragte sie. »Wie kommt es, dass so viele Menschen glauben, dass Religion und Spaß nur wenig miteinander gemeinsam haben?«
Ulmenetha richtete ihre große Gestalt auf und ging mit der schwangeren Königin zu einer breiten Bank unter den Kirschbäumen. Sie waren bereits dick voller Knospen und rosarot und weiß. »Ein solches Benehmen ist würdelos«, erklärte die junge Frau. Ulmenetha sagte einen Augenblick gar nichts. Axiana ließ, sich neben ihr nieder, die schmalen Hände auf den geschwollenen Leib gelegt. Du lachst niemals, Kind, dachte Ulmenetha, und deine Augen zeigen Kummer.
»Würde wird meist überschätzt«, sagte sie schließlich. »Es ist ein Konzept, denke ich, das Männer erfunden haben, um ihren Prahlereien mehr Gewicht zu verleihen.« Die Andeutung eines Lächelns huschte über Axianas schönes Gesicht. Aber es ging so schnell vorbei wie der Schatten am Mittag. »Männer sind alberne Geschöpfe«, fuhr die Priesterin fort, »arrogant und eitel, unsensibel und ungehobelt.«
»Bist du deshalb Priesterin geworden? Um Kontakt mit ihnen zu vermeiden?«
Ulmenetha schüttelte den Kopf. »Nein, mein Liebes. Ich hatte ein Juwel unter den Männern. Als ich ihn verlor, wusste ich, dass es niemals einen anderen geben würde.« Sie holte tief Luft und starrte über die Berge im Süden hinaus. Sie konnte gerade so drei Reiter erkennen, die auf dem Weg ins Hochgebirge waren.
»Es tut mir leid, Ulmenetha«, sagte die Königin. »Meine Frage hat dich traurig gemacht.«
»Keineswegs«, beruhigte die Priesterin sie. »Sie hat mir schöne Erinnerungen gebracht. Er war ein guter Mann. Er verbrachte zwei Jahre damit um mich zu werben und kam schließlich zu der Überzeugung, wenn er mich auf dem Weg zum Gipfel des Fünf-Kämme-Berges besiegen würde, würde ich ihn heiraten.« Die Königin sah verwirrt aus. »Ich rannte immer durch die Berge. Damals war ich schlanker und konnte stundenlang laufen. Kein Mann konnte mich auf langen Strecken besiegen. Vian versuchte es zwei Jahre lang. Er hat so hart trainiert. Da habe ich gelernt ihn zu lieben.«
»Und hat er dich besiegt?«
»Nein, aber er hat mich gewonnen. Das waren schöne Tage.« Sie verfielen für einige Minuten in Schweigen und genossen die Wärme der Morgensonne.
»Wie ist das, verliebt zu sein?« fragte Axiana. Ulmenetha fühlte Trauer in sich aufsteigen, nicht um die Liebe, die sie verloren hatte, sondern um die einsame junge Frau an ihrer Seite. Wie traurig war es, dass eine Frau nur wenige Wochen vor der Geburt sich immer noch fragte, was Liebe war.
»Manchmal kommt sie wie eine Flutwelle, aber manchmal wächst sie nur langsam, bis sie zu einem großen Baum wird. Vielleicht wird es für dich und den König so sein.«
Axiana schüttelte den Kopf. »Er hält nichts von mir. Ich bin nur ein Schmuckstück, nicht mehr wert als die anderen Schmuckstücke, die er besitzt.«
»Er ist ein großer Mann«, sagte Ulmenetha. Sie merkte, wie hohl das klang.
»Nein, ist er nicht. Er ist ein großer Mörder und Zerstörer. Die Männer verehren ihn, als wäre er ein Gott, aber das ist er nicht. Er ist eine Pest, ein
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