Winterkrieger
der Dämonen ausrichten, flüsterte ihr die Stimme der Flucht ein. Du bist eine fette Priesterin ohne zauberische Fähigkeiten. Kalizkan ist ein Magier. Er könnte dir die Seele aus deinem übergewichtigen Körper blasen. Er könnte dich in die Leere verbannen. Er könnte Mörder schicken, die ihre Messer in deinen dicken Leib stoßen!
Ulmenetha erhob sich von ihrem Stuhl und ging zum Tisch vor dem Fenster. Aus einer Schublade holte sie einen silbergerahmten ovalen Spiegel und hielt ihn sich vors Gesicht Jahrelang hatte sie Spiegel gemieden, weil sie das aufgedunsene Abbild hasste, das sie ihr zeigten.
Aber jetzt sah sie hinter ihr Fleisch, tief in die grauen Augen, und rief sich das Mädchen zurück, das durch die Berge gerannt war – das Mädchen, das aus Freude und nicht aus Angst gelaufen war.
Schließlich war sie ruhig, ihr Entschluss gefasst sie legte den Spiegel wieder in die Lade. Zuerst musste sie Axiana berichten, was sie über Dagorian herausgefunden hatte. Der Offizier war unschuldig, und der wahre Schurke, dessen war sie sicher, war Kalizkan. Dann traf sie die Erkenntnis! Nicht Kalizkan war der Feind. Kalizkan war tot! Etwas hatte seinen Körper in Besitz genommen, etwas, das mächtig genug war, einen lieblichen und beruhigenden Zauber zu schaffen, der alle in Bann schlug, die mit ihm in Berührung kamen.
Wenn sie Axiana einfach die Wahrheit sagte, würde die Königin sie für verrückt halten. Wie aber konnte sie Axiana dann von den Gefahren überzeugen, die ihrer harrten?
Diesen Weg musst du sehr vorsichtig gehen, warnte sie sich.
Sie sammelte ihre Gedanken und wollte gerade zu Axiana gehen, als eine Dienerin an ihre Tür klopfte. Ulmenetha rief sie herein. Das Mädchen trat ein und knickste.
»Was gibt es, Kind?«
»Die Königin wünscht, dass du deine Sachen packst Sie werden morgen früh zum Hause von Kalizkan geschafft.«
Ulmenetha bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Ist die Königin in ihren Gemächern?«
»Nein, Herrin. Sie ist heute Nachmittag abgereist Herr Kalizkan hat sie abgeholt.«
Gegen Mittag des zweiten Tages war Dagorians Hunger stärker als seine Vorsicht. Er ließ seinen Säbel zurück, versteckte aber sein Jagdmesser in den Lumpen des Bettlers. Dann verließ er sein Versteck und riskierte den kurzen Gang zum Markt. Die Sonne strahlte von einem blauen Himmel der Marktplatz war gedrängt voller Menschen. Er schob sich durch die Menge und blieb vor einem Fleischstand stehen, in dem sich ein Rinderbraten am Spieß über einem Holzkohlenfeuer drehte. Der Koch sah ihn mürrisch an, doch Dagorian holte zwei Kupfermünzen hervor. Daraufhin schnitt der Mann ihm ein paar dicke Scheiben ab und legte sie auf einen Holzteller. Der Duft des gebratenen Fleisches war göttlich. Es war fast zu heiß zum Anfassen, und Dagorian verbrannte sich die Finger. Er pustete auf das Fleisch und riss dann einen Bissen heraus. Es war hervorragend. Saft rann ihm über sein stoppeliges Kinn. Die Miene des Kochs wurde sanfter. »Gut?« fragte er.
»Bestens«, erklärte Dagorian.
Am anderen Ende des Marktplatzes wurde es unruhig. Aufgeschreckt wappnete sich Dagorian, sofort zu fliehen. Hatte man ihn gesehen? Waren sie ihm auf den Fersen? Die Menschen quirlten durcheinander, und eine Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Ein alter Mann schob sich durch die Menge zum Fleischstand.
»Die Armee ist aufgerieben«, erzählte er dem Koch. »Der König ist tot.«
»Tot? Dann kommen die Cadier hierher?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Anscheinend hat Prinz Malikada sie über den Fluss zurückgedrängt. Aber alle Drenai sind tot.«
Die Menge umringte Dagorian, alle redeten gleichzeitig. Skanda tot? Das war unvorstellbar.
Dagorians Hunger war verflogen, ihm war elend vor Kummer. Er verließ den Stand und verschwand in der Menge.
Überall redeten die Menschen, entwickelten Theorien, überlegten. Wie hatte Malikada die Cadier zurückgeschlagen? Wie konnten alle Drenai gefallen sein, und Malikadas Truppe unangefochten bleiben? Dagorian war Soldat – wenn auch wider Willen –, und er kannte die Antwort.
Verrat.
Man hatte den König verraten.
Mit schwerem Herzen schaffte er es zurück zum Haus der Seherin und sank in einen Stuhl.
Der Traum fiel ihm wieder ein. Zwei Könige erschlagen. Der dritte – das ungeborene Kind – in schrecklicher Gefahr.
Was kann ich tun, überlegte er? Ich bin allein, gefangen inmitten einer feindlichen Stadt. Wie kann ich zur Königin gelangen? Und selbst wenn
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