Winterland
Nachnamen. Ich hörte das Geräusch grober Stiefel auf dem Holzfußboden, durch die Küche und dann in das Zimmer, das am nächsten lag. Das Schlafzimmer meines Vaters. Und dann wieder diese Stimme, die schrie: »Besser, du hältst schön still«, und dann ein schreckliches Geräusch von Schlägen auf einen Körper. Noch mehr Stiefel über den Fußboden. Ein Schrei, der von meinem Vater stammen konnte.
Draußen wurde das Licht eingeschaltet und drang durch die Ritzen in meiner Tür.
Ich kroch unters Bett. Doch sofort änderte ich meinen Beschluss, kroch wieder heraus und lief zum Schrank, der ganz oben ein breites Regalbrett hatte, wo ich schon einmal gesessen hatte. Setzte man sich ganz nach hinten, war man vom Boden aus nicht zu sehen.
Der Schrank war hoch, und nur ein Kind konnte hinauf auf das Regalbrett klettern. Man musste sich an den Wänden abstützen, und ich wollte mich gerade hochhieven, als mir meine Kleider einfielen, die neben dem Bett lagen. Ich lief zurück und zog die Unterhose und den Pullover und die Hosen über den Schlafanzug, stopfte die Strümpfe in die Tasche, schüttelte das Kissen aus, zog die Decke über das Bett und lief zurück und schloss die Schranktür hinter mir, und da hörte ich, als ich auf das Regalbrett kletterte, wie die Tür zu meinem Zimmer aufgeschlagen wurde. Das Brett war mindestens drei Meter hoch angebracht. Der Schrank reichte bis in das zweite Stockwerk des Hauses hinauf. Ich spürte das Telefon in der Tasche, als ich am Absatz zum Regal die Beine an die Wand presste.
»Wo ist der Junge?«
Ich konnte die Stimmen durch die Schranktür deutlich hören.
Jetzt war ich oben, legte mich nach hinten, versuchte, eins mit der Wand zu werden.
»Er übernachtet bei … einem Kumpel.« Das war die Stimme meines Vaters.
»Es hat doch jemand in dem Bett gelegen.«
»Das war gestern. Er ist heute Morgen gefahren.«
»Nie im Leben. Das Bett ist nicht gemacht.«
»Er macht nie sein Bett«, sagte mein Vater. Das stimmte.
Jetzt hörte ich Schritte.
»Unter dem Bett ist er auf jeden Fall nicht.«
»Ist das Bett warm?«
»Tja … ich weiß nicht.« Kurzes Schweigen. »Hier im Zimmer ist es so verdammt kalt, dass ich das nicht spüren kann.«
»Was ist das da?«
»Was denn?«
»Die Tür da! Wohin führt sie?«
»Das ist ein Schrank.« Wieder die Stimme meines Vaters.
»Mach sie auf, Jock.«
Wieder Schritte. Ich drückte mich noch fester an die Wand. Die Tür wurde aufgestoßen, und das Licht fiel herein, doch wo ich lag, war Schatten. Ich wusste, dass das schmale Regal so hoch angebracht war, dass man es nicht sehen konnte, wenn man da unten stand. In dem Schatten, den das Licht von unten warf, sah es aus wie ein Teil der Wand.
»Hier ist niemand.«
»Kann ich mal sehen?« Geräusche von Schritten. »Nichts, gar nichts.« Da unten das Klappern von ein paar leeren Bügeln. »Nur ein Haufen Mist.« Kurze Stille. Ich wusste, dass er nach oben schaute. Ich hielt den Atem an. »Okay.« Die Tür wurde zugeschlagen. Wieder die Stimme, jetzt durch das Holz noch undeutlicher: »Dann müssen wir wohl anrufen und bei dem Kumpel nachfragen. Wann kommt denn der Junge nach Hause?«
»Morgen. Weihnachten.«
»Morgen ist nicht Weihnachten.«
»Es ist nach zwölf, also stimmt es, Steve.« Die andere Stimme. Der, der am Bett gestanden hatte.
»Also ist jetzt der Tag vor Weihnachten, Wester.«
Keine Antwort.
»Hörst du, was ich sage?«
»Ja.«
»Vielleicht können wir unsere Weihnachtsgeschenke ja etwas früher bekommen.«
»Ich habe sie nicht.«
»Was sagst du?«
»Ich habe nichts davon.«
»Das ist doch nicht wirklich wahr, oder?«
»Hier ist nichts.«
»Ach, wirklich?«
»Ich weiß nicht, warum ihr glaubt, dass ich … es an mich genommen hätte. Habt ihr mit Berger geredet?«
»Ja.« Plötzlich ein raues Lachen, fast wie ein Schrei, der durch die Schranktür laut zu hören war. »Wir haben … mit Berger geredet. Er hat gesagt, wir sollten es mal mit dir versuchen.«
»Ich glaube, das war so ziemlich das Letzte, was er gesagt hat.« Die andere Stimme. Wieder das Lachen.
»Berger hatte es«, sagte mein Vater. »Wenn er … tot ist, dann habt ihr einen großen Fehler gemacht.«
»Da wäre es doch schade, wenn wir noch einen machten, oder?«
»Das verstehe ich nicht«, sagte mein Vater, und dann hörte ich Schritte und wieder das schreckliche Geräusch von Schlägen auf einen Körper und das Stöhnen meines Vaters, und dann hörte ich, wie alle Stimmen und Schläge
Weitere Kostenlose Bücher