Winterland
glaubte es. Er glaubte es selbst.
»Wir nehmen mal Fingerabdrücke von dieser Flasche«, sagte Ringmar.
»Ihr werdet meine darauf finden«, sagte Winter. »Und die von Hirschmann.«
Doch es gab keine Fingerabdrücke von Winter auf der Calvadosflasche und auch keine von Hirschmann.
Es gab überhaupt keine Abdrücke.
»Verdammt noch mal!«, rief Ringmar.
Sie saßen in Winters Arbeitszimmer. Das Fenster stand offen und ließ den milden Frühling herein. Es war früher Nachmittag, und draußen sangen die Vögel. Winter wusste nicht, wie sie hießen.
Gerade war das Ergebnis von der Spurensicherung gekommen.
»Sauber abgewischt«, sagte Winter. »Ich habe diese Flasche in der Hand gehabt, und Lars ebenso.«
»Unter diesen Umständen möchte ich vielleicht doch etwas mehr über deine an den Haaren herbeigezogene Hypothese wissen«, sagte Ringmar.
»Sieh an.«
»Wenn wir es hier nicht mit einer übereifrigen Putzfrau zu tun haben.«
»Bergenhem hat mit ihr geredet«, sagte Winter. »Sie ist sicher eifrig genug, aber ihre Schicht hätte erst um fünf Uhr morgens begonnen. Bergenhem hat sie im Restaurant abgefangen.«
Kriminalinspektor Lars Bergenhem war der jüngste der Kripobeamten in der Abteilung. Er war Spezialist für die Arbeit in den frühen Morgenstunden – oder wenigstens versuchten seine Kollegen immer, ihm das einzureden.
»Also hat nach euch noch jemand anders die Flasche in der Hand gehalten«, sagte Ringmar.
»Das klingt doch logisch«, sagte Winter ungerührt. »Oder jemand hat sie vorher in der Hand gehalten, und jetzt musste sie noch abgewischt werden.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht, Bertil.«
»Musste die Flasche nicht weggenommen werden, damit man an das herankam, was dahinter lag, in dem Fach?«
»Da bin ich sicher.«
Winter zog sich ein Papier heran, das auf einem der Stapel auf seinem großen Schreibtisch lag. Er sah kurz darauf. Es war eine Liste mit ungefähr zehn Namen.
»Haben wir sie alle durch?«, fragte er und sah auf.
»Ja«, erwiderte Ringmar, »und keiner der Köche ist untergetaucht. Leider.«
»Das Leben ist hart«, sagte Winter und legte das Papier wieder auf den Tisch.
»Ja«, ergänzte Ringmar, »und der Tod auch. Leider.«
»Dann legen wir mal los«, sagte Winter.
Doch bevor er sich an die Verhöre machte, nahm er den Aufzug in die Tiefgarage der Wache, setzte sich in seinen Mercedes und fuhr Richtung Westen. Die Sonne stand schon recht tief, und er klappte die Sonnenblende herunter. Die ausrangierten Werftkräne auf der anderen Seite des Flusses glühten orange, als hätten sie nach fünfzig Jahren Dienst und zehn Jahren Pause plötzlich Feuer gefangen. Ihre Zeit war vorbei.
Er fuhr am Fischereihafen vorbei und nahm den starken Geruch wahr. Hier wurde schon seit ein paar Stunden nicht mehr gearbeitet. Ein Möwenschwarm schwebte immer noch auf der Suche nach den letzten Resten über dem Hafenbecken. Die Fischkisten standen zu hohen Pyramiden an der Vorderseite der langen Holzbuden gestapelt, in denen die Fischereibetriebe ihre Büros hatten. Auf einer von ihnen war eine große Krabbe als Logo auf die Wand gemalt. Es sah aus, als würde die riesenhafte Zange der Krabbe nach einem Lastwagen greifen, der etwas weiter unten auf dem Weg geparkt war. In der nächsten Sekunde würde die Krabbe den Lastwagen packen und ihn quer über den Hafen und den Fluss schleudern, direkt zu den orangefarbenen Skeletten der Kräne hinüber.
Winter dachte an Lars Hirschmann. An zwei oder drei Morgen in der Woche hatte der Freund zeitig da unten gestanden, wenn die Fischauktion begann.
Einmal war Winter mitgekommen. Er war einfach neugierig gewesen. In neun von zehn Fällen hatte er Fisch und Schalentiere auf seinem Teller. Er wollte sehen, wie das Gold des Meeres hereinkam, das Gold und das Silber.
Und es hatte in der Tat wie von Gold und Silber und von Diamanten da unten geglitzert. Nur ein halbes Jahr war es her, kurz vor Weihnachten. Es war sehr kalt gewesen, und die Eisstücke, die überall gelegen hatten, hatten mehr wie eine überflüssige Dekoration gewirkt.
Winter fuhr um ein weiteres neu angelegtes sinnloses Rondell herum und passierte den westlichen Teil des Fischereihafens. Einige kleinere Trawler waren auf dem Weg aus dem Hafenbecken. Sie waren älteren Typs, vielleicht schon zu Kriegszeiten im Einsatz. Er kannte die Geschichten der waghalsigen jungen Fischer von den Inseln im südlichen Schärengarten, die geradewegs durch die Nordsee über die
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