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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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Verlangen, sich auf den einstigen Erzfeind und Schicksalsgenossen zu stürzen.
    „Wo ist mein Vater, Sir Topher?“
    „Geh mit den Monts“, sagte Sir Topher ausdruckslos. „Saro möchte, dass du mit Yata sprichst, die sehr begierig darauf ist, von Evanjalin zu hören.“
    Yata. Die Großmutter von Balthasar und Lucian, die Herrscherin der Monts, die Mutter der ermordeten Königin.
    „Wir müssen sie suchen“, beharrte Finnikin. „Wir müssen wieder auf die andere Seite des Flusses. Verlangt nicht von mir, dass ich hierbleibe und nichts tue.“
    „Du hast genug getan, Finnikin. Dein Vater und Perri werden Evanjalin und Froi suchen lassen. Ruhe dich aus. In den nächsten Tagen wirst du alle deine Kräfte brauchen. Wirklich alle.“
    Lucian von den Bergen wartete mit verschränkten Armen. Er deutete auf den Hügel, und als Finnikin keine Anstalten machte zu gehen, packte er ihn kurzerhand an der Schulter und schob ihn vor sich her.
    Sie sprachen wenig miteinander, während sie zwischen den Bäumen hindurch den Hügel erklommen. Es war kalt und windig geworden und Finnikin beneidete Lucian um seine lange dicke Jacke. Er zog seine eigene Jacke fester um sich und ging weiter auf seinem Weg zu jenem Ort, den für das Versteck der übrigen Monts hielt.
    „Schafdreck“, warnte ihn Lucian, nachdem Finnikin bereits hineingetreten war.
    Der Mont marschierte voran und Finnikin folgte ihm widerwillig. Der Weg war schmal und steinig. Sie kamen an einem Wassertrog vorbei und nun konnte Finnikin schon die Schafe riechen. Während das Tal unter ihnen in hellem Sonnenschein lag, war man hier oben ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt. Aber die Monts hatten sich noch nie um Bequemlichkeit für Mensch und Tier gekümmert. In den Bergen hatten sie an der Grenze zu Charyn Wache gestanden. Die Kinder der Monts mussten ihr Land verteidigen können, sobald sie laufen gelernt hatten. Das war es gewesen, was Balthasar an seinem Vetter bewundert, worum er ihn beneidet hatte. Obwohl Balthasar Prinz war, war meist Lucian ihr Anführer. Er war der bessere Jäger, der bessere Kämpfer, der verwegenste und verlässlichste Bundesbruder. Einmal, als Finnikin von einer Schlange gebissen worden war, hatte er ihn den ganzen Tag lang auf dem Rücken getragen. Er hatte ihm selbst das Gift aus der Wunde gesaugt und sich um Finnikin gekümmert, bis Hilfe kam. Ein Bruder hätte es nicht anders gemacht.
    „Diese Monts haben sich nicht im Griff“, hatte Balthasar dann immer zu Finnikin gesagt; aber die beiden Jungen hatten gar nicht genau gewusst, was das bedeutete.
    Bis er den Kummer der Monts sah an jenem ersten Tag, nachdem man sie vertrieben hatte. Sie trauerten hemmungslos und sie schämten sich dessen nicht. Später hatte er sie darum beneidet, wollte wie sie seinen Zorn in die Welt hinausschreien, wollte sich die Faust in den Mund stecken, mit den Zähnen knirschen. Die Luft sollte knistern von seiner Wut. Aber Finnikin stammte aus den Felsregionen; Leute wie er beherrschten sich, genau wie die Menschen aus dem Tiefland.
    „Schafsdreck.“
    Bastard.
    Schließlich erreichten sie einen breiten Hügelkamm. Viele Zelte standen dort, alle bunt verziert und von Blumenbeeten und Kieselsteinen gesäumt. Kinder rannten zwischen den Zelten umher und Frauen saßen im Kreis; sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und nähten eifrig. Ziegen, Kühe, Pferde, Esel, Schweine, Hühner liefen überall umher, sorgsam gepflegte Gemüsegärten waren über die hoch gelegene Siedlung verstreut. Die Monts hatten sich gut auf diesem Fleckchen Erde eingerichtet, nur einen Tagesritt von ihrer Heimat entfernt.
    „Zelte?“, brummte Finnikin. „Jetzt seid ihr schon zehn Jahre hier und habt immer noch keine Häuser gebaut?“
    „Na und?“, konterte Lucian.
    „Aber das ist doch ein Ort, an dem man sich auf Dauer niederlassen kann.“
    „Das hier sind Hügel, du Dummkopf. Wir sind aus den Bergen. Unser richtiges Zuhause sieht ganz anders aus.“
    „Balthasar hat immer gesag t …“
    Lucian versetzte ihm einen Stoß. „Wir hier sprechen nicht von Balthasar oder der Prinzessin oder dem König oder der Königin. Kapiert?“
    Finnikin schüttelte enttäuscht den Kopf. „Ihr haust in Zelten, ihr sprecht nicht von der Vergangenheit. Ihr Flüchtlinge seid doch alle gleich“, sagte er. „Ihr tut so, als wäre nichts geschehen.“
    „Wir sind keine Flüchtlinge!“
    Lucian versetzte Finnikin einen Fausthieb mitten ins Gesicht. Der Schlag setzte etwas frei in Finnikin:

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