Winterlicht
Mont. Eine Hohepriesterin des Lagrami-Klosters in Sendecane hat sie in unsere Obhut gegeben. Das Mädchen hat uns hierhergeführ t … in dem Glauben, dass Balthasar bei euch wäre.“
„Balthasar?“, flüsterte Saro. „Mein geliebter Neffe?“
„Balthasar ist tot“, sagte Lucian scharf. Er stand hinter seinem Vater und starrte Finnikin finster an. „Es ist dummes Geschwätz zu behaupten, er sei noch am Leben, so wie es dummes Geschwätz von diesen Leuten war zu behaupten, er wäre bei ihnen.“
„Aber sie haben einen von den Unseren“, beharrte Finnikin und suchte die Umgebung nach seinem Vater ab. Ein Meer von fremden Gesichtern umgab ihn, aber von seinem Vater war keine Spur zu sehen. „Wir sind mit zwei jungen Leuten aus Lumatere gereist, mit einem Jungen namens Froi und einem Mädchen namens Evanjalin. Sie ist eine Mont“, sagte er bestimmt und blickte dabei Saro an. „Wir haben uns vor zwei Tagen getrennt. Wir hofften, Evanjalin könnte sich bis zu euch durchgeschlagen haben. Sie behauptet, sie könne gemeinsam mit einem Kind in die Träume der Menschen in Lumatere eindringen“, fügte er hinzu.
Lucian und Saro sahen ihn erschrocken an, und Finnikin seufzte im Stillen, weil er die Sache mit dem Schlaf jetzt ein weiteres Mal erklären musste.
„So weit weg?“, fragte Saro.
„Was meint Ihr mit ,so weit weg‘?“, fragte Finnikin.
„Einige unserer Frauen besitzen ebenfalls diese Gabe“, erklärte Saro. „Aber sie können nur durch die Träume derer wandern, die in unserer Mitte leben. Die in unserer Nähe sind. Die hier mit uns auf dem Hügel sind oder die mit uns in den Bergen lebten. Aber es gab nie eine, die es auf eine solche Entfernung hin konnte.“
„Eure Frauen können in die Träume anderer Menschen gehen?“, fragte Finnikin.
„Nur die besonders Begabten“, antwortete Saro.
„Man nennt es ,die Gabe des Wanderns‘“, sagte Lucian mit einem finsteren Blick zu Finnikin. „Mir scheint, du spottest darüber.“
„Lucian“, befahl sein Vater. „Bring Finnikin zu deiner Yata. Sie wird sich sicher für dieses Mädchen interessieren. Ich muss mich um diese Leute kümmern. Sir Topher und Trevanion möchten, dass sie bei Tagesanbruch ins Tal der Stille gebracht werden.“
Lucian packte Finnikin, doch der riss sich los. Er musste Trevanion und Perri einholen. Sie mussten wieder auf die andere Seite des Flusses, um Evanjalin und Froi zu suchen, und sie konnten es sich nicht leisten, auch nur einen einzigen Augenblick zu verschwenden. Finnikin ging zu dem Jungen, den der Charynit mit dem Schwert bedroht hatte.
„Ich heiße Sefton“, stellte sich dieser vor und packte Finnikin zum Gruß am Arm.
„Sag mir, was sie über den Gefangenen erzählen, der behauptet, er sei der Thronerbe von Lumatere“, bat Finnikin.
„Ich verstehe ihre Sprache nicht“, erwiderte Sefton. „Aber meine Tante arbeitete in ihrem Dorf, sie versteht ein bisschen Charynitisch. Esta!“, rief er einer der Frauen zu. „Esta! Finnikin braucht deine Hilfe.“ Zu Finnikin gewandt sagte er: „Ich möchte mich dir anschließen. Ich bin flink im Umgang mit dem Bogen.“
Finnikin musste über den Eifer des Jungen lächeln. „Dann werden sie dich im Tal gut brauchen können, Sefton. Dort übt die Königliche Garde. Geh zu ihnen und sage, ich hätte dich geschickt.“
Eine Frau in Trevanions Alter berührte Finnikin. „Wie kann ich dir helfen?“
„Was hat es mit dem Gefangenen auf sich?“
Sie nickte. „Ich habe gehört, wie die Charyniten von ihm sprachen. Sie haben in den Wäldern einen Jungen aufgegriffen und dachten, dass er zu uns gehöre. Was immer es mit diesem Jungen auf sich hat, er ist der Grund, weshalb sie auch uns gefangen nahmen.“
„Haben sie etwas von einem Mädchen gesagt? Von einer gewissen Evanjalin?“, fragte Finnikin.
Die Frau schüttelte den Kopf. „Sie haben nur von dem Jungen gesprochen.“
Finnikin drückte ihr dankbar die Hand und sah sich inmitten des Durcheinanders um. Einige seiner Landsleute waren immer noch den Tränen nahe. Moss sprach leise zu ihnen, während Saro seinen Leuten Anweisungen gab. Man entschied sich, die Nacht am Fuß des Hügels und unter dem Schutz der Monts zu verbringen und im Morgengrauen ins Tal der Stille aufzubrechen. Finnikin versuchte Luft zu holen, aber seine Brust schmerzte bei jedem Atemzug. Der Anblick von Lucian, der mit Sir Topher auf ihn zukam und dabei einen Ausdruck der Überlegenheit zur Schau trug, erweckte in ihm das
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