Winterlicht
war damals ein Mädchen von fünfzehn Jahren, und niemand nahm mich ernst, deshalb ließen sie mich mitspielen.“
„Welchen Einsatz hattest du ihnen anzubieten?“, fragte Finnikin.
„Ich war beinahe ein Jahr lang in diesem Lager, und jeden Abend habe ich beobachtet, wie eine Frau zwanzig Silberstücke in einem Beutel nahe einem Baumstumpf am See versteckte. Die habe ich mir für diesen Abend geborgt.“
Sie hörten, wie Froi schnaubte. „Und mich nennt man einen Dieb.“
„Hättest du nicht ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn du verloren hättest?“, fragte Lucian.
„Ich wusste, dass ich gewinnen würde“, sagte sie einfach.
„Abe r …“
„Lucian“, unterbrach ihn Finnikin. „Glaub mir, sie gewinnt wirklich immer.“
Aber Lucian ließ nicht locker. „Hast du die zwanzig Silberstücke wieder zurückgegeben?“
„Nein“, sagte sie und schüttelte den Kopf.
Lucian war enttäuscht. Die Monts waren keine Diebe. Das war das Schlimmste, was man ihnen vorwerfen konnte.
„Ich hatte keine Zeit dazu“, sagte Evanjalin ruhig. „Am nächsten Morgen hatte nämlich eine Gruppe von Jägern aus Sarnak unser Lager umzingelt.“
Lucian schluckte. „Sarnak? Mein Vater und ein paar seiner Leute sind sofort dorthin geeilt, als wir davon hörten. Sie wollten herausfinden, ob jemand überlebt hatte.“
„In dieser Nacht bin ich im Traum von Lady Beatriss gewesen“, fuhr Evanjalin fort. „Sie träumte von dem Kloster in Sendecane, und ich wusste, das war ein Zeichen für mich, dass ich dorthin gehen sollte. Dass ich nach acht Jahren damit aufhören sollte, von einem Königreich ins nächste zu ziehen. Ich war müde und todtraurig, und zum ersten Mal, seit ich acht Jahre alt gewesen war, hatte ich alle Hoffnung aufgegeben. Aber dann ist Finnikin in das Kloster der Lagrami gekommen.“
„Weil mir die Priesterin einen Boten gesandt hatte“, sagte Finnikin. „Er weckte mich und flüsterte den Namen ,Balthasar‘.“
Sie schüttelte den Kopf. „Es gab keinen Boten, Finnikin. Jemand hat mir deinen Namen im Schlaf zugeflüstert. Er hat mir gesagt, du würdest kommen. Und das habe ich der Hohepriesterin erzählt: Finnikin von den Felsen wird kommen und mich holen, um mich zu meinem Volk zu bringen.“ Evanjalin lächelte und es war ein Lächeln ungetrübter Freude.
„Gehen wir weiter“, sagte Perri.
Finnikin nahm seinen Vater am Arm, als die anderen schon vorangegangen waren. „Sie irrt. Da war ein Bote“, sagte er mit Nachdruck. „Ich weiß es. Ich entsinne mich noch gut. Ich erinnere mich daran, weil ich von Beatriss geträumt hatte und wütend war, weil ich unsanft aus diesem Traum gerissen wurde.“
„Was hast du von Beatriss geträumt?“, wollte Trevanion wissen.
„Dass du dein Kind in ihre Arme gelegt hast und sie ihm die Brust gab und es so liebevoll genährt hat, und das s … und das s …“ Finnikin war fassungslos, wie viel ihm plötzlich wieder einfiel.
Trevanion blieb stehen, fasste ihn am Handgelenk. „Erzähl mir mehr“, bat er fast flehentlich.
„Beatriss gab dem Kind die Brust“, fuhr Finnikin fort, „und du hast sie wegen des Klosters von Lagrami geneckt. Beatriss sagte: ‚Kleiner Finn, was meinst du? Sollen wir sie ins Kloster schicken, damit sie in Sicherheit ist, wie du es geschworen hast? Ja, so wie du es geschworen hast?‘ Sie sagte es immer wieder.“ Finnikin schüttelte den Kopf und versuchte aus diesen Erinnerungen schlau zu werden. „Wie es aussieht, hat mich Evanjalin oder Beatriss oder sonst wer in jener Nacht ins Kloster von Sendecane gerufen.“
Trevanion schwieg einen Augenblick lang. „Erschien sie di r … glücklic h – in dem Traum?“, fragte er leise.
Finnikin wusste, dass sein Vater Beatriss meinte. „So glücklich wie immer, wenn du bei ihr warst“, sagte er aufrichtig. „So glücklich, dass ich danach, ohne zu zögern, zum Ende der Welt gereist bin.“
Als sie die Ausläufer der Hügelkette erreicht hatten, wo die Vertriebenen aus Lumatere schliefen, rief Trevanion den Monts, die Wache standen, schon von Weitem eine Parole zu.
„Bleibt einstweilen hier“, sagte er zu Finnikin und Lucian. „Schlaft erst einmal, und morgen Früh bringt ihr Evanjalin und Froi zu deinen Leuten, Lucian. Perri und ich müssen noch heute Nacht ins Tal zurück. Saro wird uns sicher bald folgen.“
Lucian nickte und wartete mit Finnikin, während Trevanion und Perri aufsaßen.
„Ruh dich aus, Finn“, sagte sein Vater. „Ich fürchte, wenn wir erst im
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