Winterlicht
erhellten den Kasernenhof, deshalb sah man alles, was dort vorging. Jetzt begriff Finnikin, wieso sein Vater gewollt hatte, dass Evanjalin unten blieb. Denn schon hatte Trevanion einem Soldaten die Schneide an die Kehle gesetzt. Blitzschnell und eiskalt. Soldaten müssen töten, rief er sich in Erinnerung. Das haben sie gelernt. Aber er fragte sich, was seinem Vater und Perri jetzt wohl durch den Kopf ging. War es Genugtuung? Waren sie jetzt ruhiger als vorher oder war ihnen speiübel?
„Drei sind erledigt. Das geht beinahe schon zu leicht“, flüsterte Lucian. „Perri bindet gerade den Jungen los, den das Mädchen für einen Hund gehalten hat. Weshalb geht dein Vater in die Baracke hinein?“
Weil mein Vater ein Soldat ist, dachte Finnikin. Und weil sein Zorn nicht versiegen wird, ehe nicht der Tod auch noch des letzten Vertriebenen gerächt ist.
„Frag nicht. Sobald Perri mit Froi draußen ist, springst du hinunter und läufst mit Evanjalin weg. Ich sichere so lange, bis auch Trevanion draußen ist.“
„So haben wir es nicht abgemacht“, zischte Lucian. „Sobald Perri mit dem Jungen erscheint, laufen wir beide los. Ich gehe nicht ohne dich.“
Finnikin zielte weiter auf den Eingang der Soldatenunterkunft. „Würdest du ihren Anweisungen auch dann folgen, wenn Saro dort drinnen wäre?“
Lucian stieß einen Fluch aus, und dann sahen sie, wie Perri Froi auf seinen Arm hob und zum Tor rannte.
„Sie sind draußen!“ Lucian kletterte den Baum hinab. Erleichtert sah Finnikin seinen Vater zur Tür herauskommen. Was auch immer Trevanion drinnen getan hatte, es war leise geschehen, denn niemand folgte ihm.
Finnikin wartete, bis auch sein Vater den Hof verlassen hatte. Er wartet e … und wartet e … und wartet e … und dann war auch Trevanion draußen. Finnikin sprang vom untersten Ast des Baumes herunter und fiel Evanjalin vor die Füße. Sie fassten sich bei den Händen und rannten durch den Wald. Irgendwann war auch Perri neben ihnen und dann Trevanion, und sie rannten und rannten und dachten nur an eins: Luft holen, laufen und den Fluss erreichen mit Froi und Evanjalin in ihrer Mitte. Um sie endlich nach Hause zu bringen.
Als sie das osterianische Ufer des Flusses erreicht hatten, blieben sie einen Augenblick lang stehen.
„Sagrami“, fluchte Perri und ließ sich mit Froi, den er immer noch auf seinen Armen trug, auf die Knie fallen. Finnikin bemerkte, wie Lucian erschrak, als er sah, was die Soldaten mit Frois Gesicht angestellt hatten.
„Mein Vater hat die Soldaten von Osteria alarmiert, deshalb glaube ich nicht, dass die Charyniten den Fluss überqueren werden. Aber ich kenne einen Ort, an dem wir uns erst mal ausruhen können“, sagte Lucian.
Sie folgten dem Mont durch die Wälder. Wie Finnikin vermutet hatte, kannte er sich aus, und er führte sie ohne Schwierigkeiten durch die waldigen Täler und Schluchten. Nicht lange und er blieb vor einem überhängenden Felsen stehen, unter dem sie sich niederließen.
„Erzähle, Froi“, befahl Evanjalin.
Froi hatte Mühe zu sprechen. Sein Gesicht war zerschrammt und grün und blau geschlagen; Nase, Mund und Ohren waren blutverschmiert.
„Mach nie wieder so eine Dummheit“, zischte Evanjalin wütend. „Sie hätten dich umbringen können, du Esel. Wir haben abgemacht, dass ich die Befehle gebe, nicht du.“
Froi murmelte etwas vor sich hin, und Perri beugte sich vor, um ihn besser zu verstehen. „Das ist sehr ungezogen von dir, Froi“, sagte er dann. „Du solltest dich schämen, so etwas von deiner Herrin zu verlangen.“
Finnikin und Lucian lachten erleichtert. Trevanion drückte Evanjalin etwas in die Hand. Sie betrachtete es lange, dann hob sie den Kopf. Es war der Ring.
„Ich habe Euch angelogen, was den Ring angeht“, sagte sie leise.
„Tatsächlich, Evanjalin? Ich kann nicht glauben, dass du jemals die Unwahrheit sagen könntest“, sagte Trevanion und dabei lächelte er leicht.
Sie lächelte zurück. „Es war im Vertriebenenlager, es ist schon mehr als zwei Jahre her. Ich habe Leuten beim Kartenspielen zugesehen. Der Dieb dieses Rings war auch dort. Nach dem Tod des Königs hatte er begonnen, seine Tat zu bereuen. Er hatte einst den Ring gestohlen, als der König und die Königin mit ihren Kindern ins Tiefland gereist waren, viele Jahre vor den Tagen des Unsagbaren. Aber trotz seiner Reue prahlte er immer noch mit dem Diebstahl. Also forderte ich ihn zu einem Kartenspiel heraus. Der Gewinner sollte den Ring bekommen. Ich
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