Winterlicht
Handabdrücke auf den Mauern unseres Königreichs hinterließ. Ich habe diese Abdrücke gesehen. Alle Monts haben sie gesehen während der Woche, die wir im Tal der Stille verbracht haben. Mein Vater und meine Brüder mussten meine Yata mit Gewalt von dieser Stelle wegzerren.“
Finnikin hatte es die Sprache verschlagen. Lucian kam ihm vor wie ein Wahnsinniger, als er auf die Gestalt zeigte, die neben Finnikin lag.
„Balthasar hat sie beschützt. Du hast sie geführt. Du hast sie hierhergebracht, denn sie hat gespürt, wo ihr Volk war. Und ich war der Leuchtturm, zu dem ihr zurückgekehrt seid.“
„Isaboe?“, fragte Finnikin. Seine Stimme klang rau, so erschüttert war er.
Er starrte auf die Schlafende, während Lucian aufstand und sein Schwert aus der Scheide zog, so als wollte er sie vor ihm schützen. Aber Finnikin war wie gelähmt. Isaboe.
Wie konnte ihm das entgangen sein? Wie war es möglich, dass er sie nicht erkannt hatte? Und was noch schlimmer war, dachte er verletzt und zornig, weshalb hatte sie ihm nicht vertraut? Nachdem sie eine so lange Zeit zusammen verbracht hatten. Aber schließlich sprang er auf und stand neben Lucian. Er wollte tun, wozu er geboren war. Er wollte das Königshaus von Lumatere verteidigen.
„Du hast all das begonnen, als du uns zu dem Blutopfer zwangst, damals beim Felsen“, flüsterte Lucian. „Aber ich würde es immer wieder tun, wenn ich dafür mit eigenen Augen sehen dürfte, wie uns die Königin zurück nach Lumatere führt.“
Kapitel 23
A ls die Sonne aufging, weckte Finnikin die beiden auf. Die Flüchtlinge waren bereits in der Morgendämmerung mit Saros Männern zum Tal aufgebrochen. Froi und Evanjalin bettelten darum, noch etwas liegen bleiben zu dürfen, aber Finnikin schüttelte nur den Kopf. Die Sorge trieb ihn an und Lucian ebenso. Sie mussten sie so schnell wie möglich zur Yata bringen.
„Es ist nur ein kurzer Weg“, sagte er ruhig.
Einige Schritte von ihnen entfernt sprach Saro aus den Bergen mit seinen Männern. Er schien überrascht über das Auftauchen von Lucian und Finnikin und sah die beiden fragend an.
Dann sah er sie.
„Jetzt geht es los“, sagte Lucian.
Saro stand der Schrecken förmlich ins Gesicht geschrieben. Evanjalin schien es zu spüren. Sie hatte sich gerade gebückt, um ihre Stiefel zu schnüren. Jetzt richtete sie sich auf und schickte sich an, vor dem Anführer der Monts ihr Knie zu beugen. Entsetzt zog Saro sie hoch, so wie einst Sir Topher, als Evanjalin vor Trevanion hatte niederknien wollen. Sir Topher wusste schon damals Bescheid, das wurde Finnikin jetzt klar. Eine Königin beugt ihr Knie nicht vor ihren Untertanen.
Saro aus den Bergen reichte Evanjalin die Hand und sie ergriff sie. Finnikin betrachtete sie, wie sie neben ihrem Onkel schritt. Je höher sie hinaufstiegen, desto eiliger hatte sie es; vor lauter Aufregung ballte sie immer wieder die Hände. Saro sah sie an und seine Schultern zuckten, so überwältigt war der mächtige Anführer der Monts von seinen Gefühlen.
Als sie die Zeltsiedlung erreicht hatten, blieb Evanjalin stehen und drehte sich zu Finnikin um. Er wollte nichts als sie beschützen. Sie vor den anderen verstecken. Sie an einen Ort bringen, an dem er so tun konnte, als wäre sie eine Novizin namens Evanjalin. Beide standen für einen Augenblick schweigend da. Dann ging sie zu ihrer Yata, die ein Stück entfernt dastand und über eine Bemerkung von Sir Topher lachte.
Da ließ die Königin von Lumatere die Hand ihres Onkels los. Mit einem lauten Schluchzen rannte sie auf ihre Großmutter zu, die sie anstarrte wie einen Geist.
„Yata!“ Isaboes qualvoller Schrei war weithin zu hören. Sie warf sich gegen ihre Großmutter, brach unter der Last der Erinnerungen und der Trauer zusammen, während die Namen aus ihr heraussprudelten. Die Namen ihrer Schwestern und ihres Bruders, ihrer Mutter und ihres Vaters, Echo eines tiefen Kummers, den niemand zu lindern vermochte.
Das Zelt der Yata, in dem die Königin sich aufhielt, wurde streng bewacht in dieser Nacht.
Aus Respekt vor der Familie und auch, weil er ein wenig allein sein wollte, hielt sich Finnikin fern. Aber seine Sehnsucht nach Evanjalin war zu stark. Das Verlangen, neben ihr zu liegen und sie an sich zu ziehen, war so heftig, dass er sich ganz schwach fühlte.
Schließlich ging er zum Zelt. Vier Vettern der Königin stellten sich ihm mit gezückten Schwertern in den Weg.
„Ich gehöre zur Königin“, sagte Finnikin mit fester
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