Winterlicht
damals das Massaker an den Lumaterern verübt haben.“
„Am Königshof von Sarnak oder hier?“
„Die Verhandlungen laufen, während wir hier sprechen. In Finnikins letzter Nachricht ist von einer Einladung des Königs von Sarnak die Rede. Er will, dass wir an seinen Hof kommen. Wir raten Euch natürlich dazu, die Einladung auszuschlagen, solange wir nicht wissen, ob es sicher ist. Finnikin ist auch gegen Besuch aus Osteria und er hat Recht. Es ist noch zu früh. Bevor wir Fremde in unser Land lassen, müssen wir wieder ganz auf eigenen Füßen stehen.“
Sie seufzte und erhob sich. Sie blickte über das Tal, wo einige Gardisten dabei halfen, die Dorfhütten mit Stroh zu decken.
„Wenn er zurückkehrt, wird er die wichtigsten Entscheidungen bereits getroffen haben, nicht nur für sein Leben, sondern auch für dieses Königreich. Ihr müsst Geduld haben.“
„Ihr solltet mich auch dazu ermuntern, meinen Stolz zu erhalten, denn er schwindet mit jedem Tag, an dem Finnikin mich meidet.“
„Ihr wisst, was er für Euch empfindet.“
„Ich weiß gar nichts“, erwiderte sie traurig. „Er hat mir nichts gegeben und ich kann nicht herrschen mit nichts. Doch ich weiß, dass sich mein Volk einen König an meiner Seite wünscht. Deshalb werde ich ihnen einen König geben, auch wenn er nicht meine erste Wahl ist.“
Trevanion wartete auf der Straße zum Palast mit mehreren Gardisten und den Pferden auf sie.
„Steigt Ihr auf das Pferd, meine Königin?“, fragte er, als sie näher kam, und hielt ihr die Zügel hin.
„Ich gehe lieber zu Fuß“, antwortete sie. Es war die Straße, auf der der Thronräuber und seine Männer die Frauen und Mädchen aus Lumatere in den Palast verschleppten. Es war die Straße, entlang der sie die Kinder jener Männer aufhängten, die sich gegen sie auflehnten.
„Es wäre einfacher für uns, wenn Ihr reiten würdet, meine Königin“, meinte Sir Topher.
Sie hielt einen Moment inne und sah zu den beiden Männern auf. Scham stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Wenn ich ehrlich sein sol l … ich glaube nicht, dass ich schon bereit bin für eine Rückkeh r … in mein Heim.“
Trevanion schwieg. Er dachte an das erste Mal, als er wieder den Palast betreten hatte. Er war noch immer voller Erinnerungen an das Grauen, das er in dieser schrecklichen Nacht vor all den Jahren miterlebt hatte.
„Wir haben den Ostflügel für Euch hergerichtet“, sagte Sir Topher. „Er wurde in den letzten fünf Jahrzehnten nicht benutzt.“
Sie nickte erleichtert. „Ich verspreche, am nächsten Ruhetag in den Palast zurückzukehren. Dann können wir das Volk zu einem Fest einladen. Damit könnten wir den Übergang zur Normalität feiern.“ Sie sah die beiden bittend an.
„Das sind noch fünf Tage“, sagte Sir Topher widerwillig.
„Die Priesterin der Lagrami ist mit ihren Novizinnen in ihr Kloster zurückgekehrt und erwartet meinen Besuch. Das Kloster ist nicht weit vom Palast entfernt, es wäre bis dahin der beste Aufenthaltsort. Ich kann die Bewohner des Palastdorfes besuchen. Sie waren früher meine Nachbarn, und sie behandelten meine Schwestern, meinen Bruder und mich, als würden wir zu ihnen gehören.“ Sie kämpfte gegen die Tränen an.
Sir Topher warf Trevanion einen Blick zu und nickte. „Ich werde zum Kloster vorausreiten und Lady Milla beauftragen, die Feierlichkeiten für Eure Rückkehr in den Palast vorzubereiten.“
Trevanion wiederholte höflich seine Bitte an die Königin aufzusitzen.
„Wie ich höre, habt Ihr Froi gefunden“, sagte sie und überging die Bitte ebenso höflich. „Behaltet ihn im Auge, Hauptmann Trevanion. Lasst ihn ruhig Bauer spielen, aber erinnert ihn daran, dass er zur Königin gehört.“
„Er glaubt, dass er nicht würdig sei.“
Sie hielt kurz an. „Froi? Bescheiden?“
Der Anflug eines Lächelns umspielte Trevanions Lippen. „Für ein oder zwei Momente.“
„Wenn ich ihn zu mir rufe, darf er sich nicht weigern.“
„Und doch habt Ihr nicht von diesem Recht Gebrauch gemacht, um Finnikin zurückzurufen.“
Sie hielt noch einmal an. „Jetzt nehmt Ihr Euch zu viel heraus, Hauptmann. Außerdem wurde heute schon genug über Euren abwesenden Sohn gesprochen.“
Er nickte. „Dafür möchte ich mich entschuldigen.“
„Für welchen Teil des Gesprächs entschuldigt Ihr Euch?“
„Für welchen Teil soll ich mich denn Eurer Meinung nach entschuldigen?“
Sie hielt seinem Blick stand. Er erinnerte sich an ihre Unerschütterlichkeit in den
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