Winterlicht
einzigen von Lord Augustins Männern aus dem Dorf Sayles gesehen hatten. Die meisten von ihnen hatten ins Tal fliehen können, aber Finnikin hatte den Verdacht, dass sie der Herzog irgendwann auf ihrer Flucht im Stich gelassen hatte und sie nun in den Fieberlagern Not litte n – oder schlimmer.
Lord Augustins Haus war schmal und hoch gebaut; es gab keine ebenerdige Tür. Wer zu ihm wollte, musste durch eines der Nebengebäude gehen. Finnikin konnte sich allerdings nicht vorstellen, warum Lord Augustin solche Vorsichtsmaßnahmen brauchte. Alle Adligen genossen den Schutz des Hofes, auch wenn sie aus Lumatere stammten.
Eine Kutsche fuhr vor, aus der eine Frau und ihre vier Kinder stiegen. Er erkannte Lady Abian wieder, die mit ihrem Geschmeide und ihren Seidengewändern wie eine Herzogin gekleidet war. Ihr folgten Lady Celie und ihre drei jüngeren Brüder. Seit ihren Kindertagen hatte er Lady Celie nicht mehr gesehen, aber sie hatte sich kaum verändert. Sie war immer schwächlich gewesen, ein sonderbares, schweigsames Kind, das von Lucian aus den Bergen drangsaliert, von den Kindern des Königs aber sehr geliebt wurde.
Die Familie beachtete Finnikin und Evanjalin gar nicht, bis Lady Celie ein Bündel Kleider fallen ließ. Evanjalin bückte sich, um es aufzuheben, und das andere Mädchen unterdrückte einen Schrei, was es in Finnikins Augen sofort unsympathisch machte. Die beiden Mädchen musterten einander, das eine herausgeputzt, das andere schmucklos gekleidet. Er spürte eine innere Bewegung bei Evanjalin, bevor die Familie in der Tür des Nebengebäudes verschwand.
Als Lord Augustin schließlich in derselben Tür erschien, war seine Miene ausdruckslos. Doch er legte Finnikin fest die Hand auf die Schulter. Er war wie ein Höfling in prachtvolle Seide gekleidet. Man hätte ihn leicht für einen adligen Nichtstuer halten können.
Lord Augustin führte Finnikin in den Hof des Nebengebäudes. Und erst als sie in einen kleinen, unmöblierten Raum mit bemalten Wänden traten, blieb Lord Augustin stehen und betrachtete Finnikin aufmerksam.
„Du bist kein Junge mehr.“
„Woher wisst Ihr das, Mylord?“
„Weil es mich als Vater schmerzt zu sehen, was für ein Sohn Trevanion geraubt wurde. Ich weiß, wie er trauern würde, könnte er dich jetzt sehen.“
Finnikin sah weg, dann stellte er nuschelnd die Novizin vor. „Sir Topher lässt sich entschuldigen. Man munkelt, dass sich der Priesterkönig in dieser Gegend aufhält, und er forscht nach.“
„Ich habe das auch gehört. Aber ich bezweifle, dass es wahr ist. Der Priesterkönig ist von Todessehnsucht ergriffen, denn er hält sich oft in den Fieberlagern auf.“
„Ihr habt versprochen, ein Treffen mit dem König zu arrangieren, Lord Augustin“, erinnerte ihn Finnikin.
„Nein“, widersprach der Lord. „Ein solches Versprechen habe ich nie gegeben. Ich habe Euch nur eingeladen, mit mir über die Angelegenheiten Lumateres zu reden.“
„Und welche Angelegenheiten gäbe es zu bereden, Mylord? Bei jedem unserer Besuche haben wir betont, dass die einzige Hoffnung Lumateres neues Land für die Vertriebenen ist.“
„Und ich habe Sir Topher Jahr um Jahr gefragt: Weshalb sollte der König von Belegonia sein Land aufteilen wollen?“
„Ihr wolltet doch uns sprechen“, erwiderte Finnikin, der den Ärger in seiner Stimme nicht verbergen konnte. „Wir sind gekommen, weil Ihr uns eingeladen habt. Warum müssen wir unsere Zeit verschwenden, Mylord? Unsere Leute sterben, und Ihr lasst uns den weiten Weg hierher zurücklegen, nur um einer belanglosen Plauderei willen!“
„Bring mir Neuigkeiten, die ich noch nicht kenne, Finnikin. Sag mir, dass ihr nach Hause zurückkehrt, und ich werde den König für euch um Hilfe bitten.“
„Wir haben kein Zuhause“, sagte Finnikin unwirsch. „Drängt darauf, dass wir Land bekommen, Lord Augustin. Mehr wollen wir nicht. Ein Stückchen belegonisches Land am Fluss. Dort werden wir uns niederlassen und für uns selbst sorgen und wir werden die Bewohner von Belegonia nicht behelligen.“
„Wenn wir wieder unsere Garde haben, dann verwette ich mein Leben, dass Balthasar aus seinem Versteck hervorkommt.“
„Es gibt keine Garde von Lumatere mehr.“
„Es gibt sie, solange Trevanion lebt.“
Enttäuscht strich sich Finnikin das Haar aus der Stirn. „Wollt Ihr mir etwa eine Falle stellen, Mylord? Ist mein Vater aus einem Gefängnis geflohen und Ihr versucht ihn dingfest zu machen?“
Lord Augustin lachte grimmig.
Weitere Kostenlose Bücher