Winterlicht
beugte sich ganz nahe zu ihm und flüsterte: „Von Balthasar.“
Finnikin bemerkte die Bestürzung in Sir Tophers Gesicht.
„Bitte, ärgert Euch nicht, Sir Topher“, sagte sie. „Bringt mich zu den Monts, dem Volk aus den Bergen. Diese Menschen wissen Rat, das verspreche ich Euch. Bei meinem Leben verspreche ich es.“
„Und du glaubst, die Monts sind in Sorel?“
Sie zögerte einen Augenblick, dann nickte sie.
Der Dieb lachte meckernd. „Muss weinen“, spottete er. „So traurig. Jemand soll Kehle ausschneiden und Hunden vorwerfen.“
Das Mädchen gab keine Antwort.
Sir Topher sagte: „Komm, Finnikin. Zeit für unsere Übungsstunde.“
Aber Finnikin blieb stehen. „Weshalb hast du dir das Schweigen auferlegt, Evanjalin?“, fragte er. „Hast du etwas zu verbergen?“
Sie blickte ihm in die Augen. „Weshalb sollte ich sprechen, wenn ich das Vergnügen habe, dir wie ein Hund zu gehorchen, sobald du pfeifst?“
Er lachte trocken. Dumm war dieses Mädchen jedenfalls nicht.
„Und überhaupt, ich habe sehr gerne zugehört, wenn von der zarten Lady Zarah die Rede war.“
Er und Sir Topher hatten in der Sprache von Osteria von Lord Tascans Tochter gesprochen. Finnikins Augen verengten sich zu Schlitzen. Er versuchte seinen Ärger hinunterzuschlucken. Man hätte das Buch von Lumatere ganz mit all dem füllen können, was man über dieses Mädchen nicht wusste.
„Höre ich da Eifersucht heraus?“, fragte er.
„Eifersucht? Auf ein geistloses Kind aus dem Adel, das wie ein Vögelchen zwitschert, aber nichts zu sagen hat, wenn man Sir Topher glauben darf?“
„Ein bisschen mehr Gezwitscher stünde dir gut an“, sagte er.
„Wirklich? Und dir stünde ein wenig mehr Vornehmheit gut an. Denn für jemanden, der der nächste Oberste Ratgeber des Königs werden will, sprichst du wie ein Heringskrämer.“
„Erstens“, schäumte er, „gehöre ich der nächsten Königlichen Garde an, und zweitens: Mein Vater war der Sohn eines Heringskrämers, deshalb würde ich meine Beleidigungen sorgfältiger wählen, wenn ich du wäre.“
„Finnikin! Üben!“, rief Sir Topher wieder.
Evanjalin wandte sich wieder dem Fasan zu, so als wäre Finnikin nicht mehr da.
„Du hast ein finsteres Herz“, warf er ihr vor.
„Es ist gut, dass du das erkennst, Finnikin“, antwortete sie ihm, ohne aufzublicken. „Dann gibt es ja noch Hoffnung für dich.“
Kapitel 6
D ie Straße von Belegonia nach Sorel führte durch alte Höhlen, in denen, so hieß es, die schrecklichsten Götter des Landes hausten. Daher konnte Finnikin sehr gut verstehen, dass Reisende zwischen beiden Ländern trotz der Piratengefahr gewöhnlich den Seeweg dem Landweg vorzogen. Die Wanderung durch die Höhlen dauerte fast einen ganzen Tag. Finnikin musste die ganze Zeit den Kopf einziehen, und der Anblick der Höhlenzeichnungen verstörte ihn. Groteske Gestalten, halb Mensch, halb Tier, waren über die Wände verteilt. Gelbe Augen schienen die Reisenden zu verfolgen, und Finger wie Klauen strichen eisig kalt über seinen Arm, wann immer er an das raue Felsgestein stieß.
Auch als sie schließlich die Stadt erreichten, war ihnen keine Atempause vergönnt. Sorel war ein Königreich aus Stein und Schutt und fast so unwegsam wie Sendecane. Die trockene Luft reizte ihre Kehlen, sodass sie jedes Mal husteten, wenn sie den Mund aufmachten. Durch die Sohlen seiner Lederstiefel spürte Finnikin jeden spitzen Stein. Es war ihm nicht entgangen, dass die Novizin ihre Füße auf dem Gestein wund gescheuert hatte, und er verwünschte sie für ihren Eifer. Mittlerweile hatte sie die Führung übernommen. Streng genommen war dies schon seit ihrem gemeinsamen Aufbruch von Sendecane so.
Sorel kam ihnen bis ins Herz des Landes hinein düster vor, fast so wie Charyn. Aber wenn Charyn ein scharfes Messer war, das sein Opfer rasch und mit tödlicher Genauigkeit aufschlitzte, dann war Sorel eine stumpfe Klinge, die tief ins Fleisch drang und einen langen, qualvollen Tod bescherte. Sorel war Lumateres einziger Rivale im Erzhandel gewesen. Als die fünf Tage des Unsagbaren Lumatere von der Außenwelt abgeschnitten hatten, hatte Sorel sofort seinen Vorteil daraus gezogen: Es hatte die Ausfuhrzölle verdreifacht und die benachbarten Königreiche geschröpft. Die Minen hatte der König in eine Strafkolonie verwandelt, und es ging das Gerücht um, dass einige der Gefangenen so lange nicht mehr das Tageslicht erblickt hatten, wie Finnikin Jahre zählte. Am schlimmsten
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