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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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sagte Finnikin und stellte sich den Männern in den Weg.
    Der Soldat nickte. Finnikin drehte sich verblüfft um. Was er sah, ließ das Blut in seinen Adern stocken.
    Die Novizin Evanjalin hatte den Arm ausgestreckt und deutete auf ihn.

Kapitel 7

    T ief unten in den Minen von Sorel lag der Gefangene und starrte auf die Eisenstäbe des Kerkers, in dem er die Nächte zubrachte. Seine muskulöse Gestalt zwang ihn dazu, ganz verkrümmt in der schmalen Nische zu kauern.
    Er verabscheute die Geisterstunde, wenn er den eigenen Gedanken schutzlos ausgeliefert war. Manchmal trieb ihn die Trauer fast in den Wahnsinn, meistens jedoch verspürte er den Drang, mit dem Kopf gegen das Gemäuer zu rennen und seinem Leben ein Ende zu setzen.
    Von seiner Schlafstatt aus sah er die Füße eines Bedauernswerten, der an seiner Zelle vorbeigeschleift wurde. Weitere fünfzig Kerkerabteile reihten sich links und rechts des unterirdischen Stollens. In eines davon kamen die Neuen und blieben eine Woche lang dort, bis die zuständigen Stellen entschieden hatten, wohin man sie bringen sollte. Waren die Häftlinge noch jung, so überlebten sie nur selten den dritten Tag.
    Er bemühte sich, die Unruhe ringsum auszublenden. Der Neuankömmling musste wohl ein junger Bursche sein, das merkte man an der Aufregung, die sich gleichermaßen unter Wärtern und Häftlingen verbreitete. Neuzugänge waren eine willkommene Abwechslung und reizten zu den schlimmsten Gemeinheiten. Hätte sich der Gefangene ein Gefühl erlaubt, so wäre es Mitleid für den jungen Kerl gewesen. Aber das hatte er sich schon vor langer Zeit abgewöhnt.
    „Es heißt, er ist ein Kämpfer. Bist du mit von der Partie?“
    Die hässliche Visage des Wärters tauchte vor seinem Gesicht auf. Unter den Gefangenen gab es die Sitte, um den Neuen zu kämpfen. Der Gewinner bekam den Häftling zugesprochen wie ein Preisgeld. Trotz seiner stattlichen Körpergröße war auch jenem Insassen diese Erniedrigung einst nicht erspart geblieben.
    Ein zweiter Wachmann tauchte auf. „Du hast Besuch.“
    Wie üblich hüllte sich der Gefangene in Schweigen. Es war allgemein bekannt, dass er nicht sprach. Er aß. Er arbeitete. Er verrichtete seine Notdurft. Er kämpfte wie besessen, wenn ihn jemand herausforderte. Aber er sagte kein einziges Wort.
    „Hast du gehört, Abschaum aus der tiefsten Latrine? Du hast Besuch.“
    Er hörte das Klappern von Schlüsseln, dann wurde er an seinen verfilzten Haaren, die ihm halb übers Gesicht hingen, aus dem Käfig gezerrt. Am Ende des Gangs stieß man ihn so grob in eine Zelle, dass er gegen die feuchte Steinmauer fiel. Und immer noch sprach er kein Wort. Seine einzige Waffe gegen diese Wilden war es, sie nicht zu beachten.
    Wieder drehte sich der Schlüssel im Schloss. Der Wachmann versetzte ihm einen Stoß, damit er sich umdrehte und den Besucher ansah.
    Der Bursche war jung, das sah man sofort. Er war kahl geschoren und hatte große, dunkle Augen. Es dauerte einen Augenblick, bis der Gefangene begriff, dass er keinen Jungen, sondern ein Mädchen vor sich hatt e – ein Mädchen, das die graue Kluft der Novizen der Lagrami trug.
    Der Wachmann sah die beiden mit einem hässlichen Grinsen an und ging hinaus. Das Mädchen wartete, bis er weg war, dann begann es zu sprechen.
    „Der Oberaufseher war mir einen Gefallen schuldig“, sagte sie ruhig. „Also habe ich ihm weisgemacht, ich hätte ein widernatürliches Interesse an ruchlosen Verrätern.“
    Es waren nicht ihre Worte, die ihn zusammenzucken ließen, sondern der Klang seiner Muttersprache. Seit Jahren hatte er sie nicht mehr gehör t – seit der Botschafter von Lumatere ihn in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft aufgesucht hatte.
    „Es heißt, Ihr seiet der am wenigsten bewachte Häftling hier. Und dass es keinen einfacheren Gefangenen gebe als jenen, der sich seinen eigenen Kerker schafft.“
    Er wusste, dass man so über ihn dachte. Es erstaunte ihn lediglich, wie wenig diese Leute von diesem finsteren Ort wussten. Die dicken Felswände und die endlosen unterirdischen Gänge machten eine Flucht schier unmöglich. Wenn er im Freien arbeitete, war er an mindestens sechs Mithäftlinge gekettet, meist feindselig auftretende Fremde, die sich auch untereinander kaum verstanden.
    „Wenn Ihr beim nächsten Mal zur Arbeit außerhalb der Minen eingeteilt seid, werdet Ihr fliehen und nach Osten gehen bis zum Schrein der Lagrami. Er steht in der Nähe der letzten Höhle vor den Bergen. In der Schlucht dort warten

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