Winterlicht
jede Gruppe für sich in Anspruch nahm, dem wahren Glauben zu dienen.“
„Die Verehrer von Sagrami treiben dunkle Magie“, warf Lord Augustins Schwester ein. „Und die hat ja überhaupt erst zu unserer Vertreibung geführt.“
„Und jetzt werden uns gerade die Klöster der Sagrami und Lagrami die Rückkehr nach Hause ermöglichen.“
„Evanjalin kann in die Träume unserer Landsleute in Lumatere blicken“, gab Lady Celie kühn bekannt.
Bei diesen Worten sah Lord Augustin Evanjalin zum ersten Mal richtig an. Er dachte daran, wie sie bei ihrem ersten Besuch zusammen mit Finnikin von den Charyniten gesprochen hatte.
Später hatte er seiner Frau staunend geschildert, wie viel Kraft die beiden jungen Menschen ausgestrahlt hatten. Die Stimme von Lumatere seien sie gewesen, die der Sonne und des Mondes, hatte er gesagt, woraufhin Abie ihn liebevoll einen Träumer genannt hatte. „Wenn du die beiden zusammen siehst, verstehst du, was ich meine“, hatte er darauf erwidert.
„Ich würde gerne in so ein Kloster eintreten“, erklärte die Nichte des Herzogs. Sie war ein hübsches Mädchen und hatte mehr Selbstvertrauen als Celie.
„In das Kloster der Lagrami?“, fragte Lady Abian. „Warum denn? Dort lernt man nur, wie man die fügsame Ehefrau eines reichen Mannes wird und die Hälfte einer Gottheit verehrt.“
„Oh, fügsame Frauen, sagst du?“, seufzte Lord Augustin übertrieben. „Warum hat mir seinerzeit niemand den Weg zu diesem Kloster gewiesen?“
Lady Abian zog die Augenbrauen hoch. „Du hast Glück, dass ich weder von der Lagrami-Priesterin gelernt habe, wie man Männer zu Tode langweilt, noch von der Sagrami-Priesterin, wie man sie mit Pflanzengift um die Ecke bringt. Stattdessen habe ich zu der Göttin der zwei Gesichter gebetet, mir einen Mann zu schicken, der mich nicht in eine gute und eine böse Hälfte teilt, wie es der Göttin nun schon viele Jahrhunderte geschieht.“
„Ich war Novizin der Lagrami“, sagte Lord Augustins Schwester gekränkt. „Langweile ich dich etwa zu Tode?“
„Natürlich nicht, meine Liebe“, versicherte ihr Gatte und tätschelte ihre Hand. „Und eine gehorsame Ehefrau bist du auch nicht.“
Die anderen lachten.
„Du urteilst sehr streng über die beiden Klöster, Abie“, sagte Trevanion ernst. „Lady Beatriss war eine Novizin der Lagrami und eine starke Frau.“
„Das weiß ich nur zu gut, Trevanion“, sagte sie sanft. „Aber das Kloster der Lagrami ist für die Töchter der Wohlhabenden, für Mädchen wie unsere Celie oder die von allen verehrte Beatriss. Aber was ist mit den Töchtern unserer Freunde hier?“
„Privilegien führen nicht unbedingt zu mehr Freiheit für unsere jungen adligen Frauen“, sagte Sir Topher. „Die Prinzessinnen waren vom Tag ihrer Geburt an dazu bestimmt, für das Königreich geopfert zu werden. Die älteren Mädchen waren bereits ausländischen Prinzen und Herzögen versprochen. Früher oder später hätte auch Isaboe das gleiche Schicksal ereilt.“
„Geopfert?“, wiederholte Finnikin verständnislos.
„Das stimmt“, sagte eine Frau. „Es ist nicht leicht, von zu Hause wegzumüssen, den Rest des Lebens in der Fremde zu verbringen und dabei nicht einmal über die eigenen Kinder bestimmen zu dürfen. Denkt doch nur an die Tante unseres verstorbenen Königs. Auch sie wurde an einen unbedeutenden Prinzen in Charyn verschachert, und aus dieser Verbindung ist das Ungeheuer hervorgegangen, das jetzt unser Königreich regiert.“
„Wie dem auch sei, wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, was jetzt gerade in Lumatere geschieht“, sagte Evanjalin. „Wenn die Novizinnen beider Klöster sich tatsächlich zusammengeschlossen haben, wie wir annehmen, dann können uns die Dienerinnen der Sagrami ihre Heilkünste beibringen. Die Priesterinnen der Lagrami wiederum können uns die Art der Vorfahren lehren und uns die Tugend der Sanftmut näherbringen. Beide Göttinnen gewähren den Töchtern unseres Landes in ihrer Not Schutz.“
„Wann kehren wir nach Lumatere zurück?“, fragte ein kleiner Junge. „Wenn wir Balthasar gefunden haben?“
Sir Topher nickte, aber Finnikin entging sein zweifelnder Gesichtsausdruck nicht.
„Und woher wisst Ihr das so genau?“, fragte der Junge.
„Seranonna hat es uns vorhergesagt“, antwortete Lord Augustin.
„Dachte, die hat ’nen Fluch gesprochen“, nuschelte Froi.
Die anderen sahen ihn voller Unbehagen an.
„Wir glauben nicht, dass das Königreich verdammt ist“,
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