Winterlicht
die anderen anfingen zu feiern, wiederholte er die Worte immer aufs Neue wie ein Mantra: Lebe, Balthasar! Ein langes Leben für Sir Topher! Er bemerkte, dass sein Vater mit Matin, einem von Lord Augustins Männern, sprach. Der Haushofmeister zeigte Trevanion etwas, was er aus seiner Tasche hervorgezogen hatte, woraufhin dieser ihn mit ungewohnter Herzlichkeit umarmte.
Mit weichen Knien ging Finnikin zu Evanjalin, die mit Tränen in den Augen ein wenig abseitsstand.
„Resurdus“, flüsterte sie. Sanft umfasste sie sein Gesicht.
Sir Topher drängte sich zwischen sie. „Evanjalin ist müde“, sagte er streng. „Sie muss schlafen. Lady Abian soll sich um sie kümmern.“
Später drangen verräterische Geräusche durchs Haus, als Lord Augustin sich mit seiner Frau der Liebe hingab und ihre Schreie durch die papierdünnen Wände für alle Gäste zu hören waren.
„Was ist nur mit unserem Adel los?“, knurrte Sir Topher und legte sich ein Kissen über die Ohren. „Die Königin und der König haben sich auch immer wie die Kaninchen aufgeführt.“
Moss stöhnte auf. „Wenn das jede Nacht so geht, dann schlafe ich lieber im Kerker des Königs.“
Froi, der direkt unter dem Fenster lag, machte sich unter seiner Decke zu schaffen.
„Froi, wenn ich auch nur einen Ton von dir höre“, warnte Trevanion ihn.
„Muss ich euch erst daran erinnern, dass der Priesterkönig unter uns weilt?“, sagte Sir Topher.
Der Genannte gluckste. „Ich bin daran gewöhnt, Menschen sterben zu hören, Sir Topher. Warum sollte ich Anstoß daran nehmen, Menschen leben und lieben zu hören?“
Alles, woran Finnikin denken konnte, war der Duft von Sandelholzseife und ein goldfarbenes, frisch gewaschenes Gesicht. Und bei jedem Stöhnen aus dem Nebenzimmer malte er sich aus, wie er sich mit Evanjalin vereinigt e – bis sein Körper nach Erlösung verlangte. Und da triumphierte für einen Augenblick das Dunkle in ihm. Es war jener Teil seines Herzens, der den Tod Balthasars herbeisehnte und mit ihm die Erfüllung der Prophezeiung, die Finnikin an jenem Tag im Wald vernommen hatte, zusammen mit einer todgeweihten Prinzessin. Denn wenn er König wäre, dann würde er Evanjalin zu seiner Königin machen.
Kapitel 19
M anchmal dachte Froi, der Flüchtling, dass die Jubelszene an der Wegkreuzung, wo man ihn hoch in die Luft geworfen hatte, nur ein Traum gewesen war. Das alles schien eine Ewigkeit her zu sein und nicht wenige Tage, jene Zeit, da der Unterschied zwischen links und rechts, Norden und Westen alles und nichts bedeuten konnte.
Als sie das Haus des Herzogs verließen, gab es Tränen. Seine Tochter war die Schlimmste von allen, sie klammerte sich an Evanjalin und schluchzte wie ein kleines Kind, so als würden sie einander schon seit vielen Jahren kennen und nicht erst seit zwei Tagen.
Als Finnikin ihr das Buch von Lumatere in die Hand drückte, war es vollends aus mit ihrer Selbstbeherrschung. Diese Lumaterer waren alle ein bisschen verrückt.
Immerhin ließ es sich im Haus des Herzogs recht gut leben. Es brannte immer ein Feuer im Kamin, und genug zu essen gab es auch. Aber ständig wurde geküsst und geherzt. Manchmal umarmte die Frau des Herzogs sogar Froi, dann musste er sich zusammenreißen, um sie nicht anzuknurren und wegzustoßen. Dabei beruhigte es ihn eher, wenn sie die Arme um ihn legte und in sein Ohr kicherte. Sein Herz hämmerte dann nicht so laut wie sonst und sein innerer Drang zu kämpfen wurde schwächer.
Nach dem tränenreichen Abschied waren sie nach Norden geritten. Zu der Kreuzung. Keiner nörgelte herum, denn bald würden sie endlich das Tal vor den Toren Lumateres erreichen. Was für Froi allerdings kein Vorteil war, denn andauernd hieß es: „Froi, mach dich nützlich!“ Evanjalin piesackte ihn auch weiterhin mit Wörterlernen, und dabei machte sie immer so ein Gesicht, damit er auch ja nicht vergaß, dass nur sie allein das Sagen hatte.
Manchmal beobachtete er heimlich den Hauptmann. Er sah jetzt gar nicht mehr so hart und zornig aus wie früher. Die meiste Zeit war seine Miene weich, besonders wenn sein Blick auf Finnikin fiel. Froi hatte dann jedes Mal ein komisches Gefühl im Bauch. Er fragte sich, ob ihn irgendwann einmal jemand auf diese Art angesehen hatte.
Alles wurde schlagartig anders, als sie in eines dieser Flüchtlingslager kamen und dort mit einem Mann der Garde sprachen, der zu Ceds Trupp gehörte. Er hatte schon auf sie gewartet, und er lächelte nicht so fröhlich wie in
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