Winterlicht
konnte ahnen, dass die Attentäter in den Palast eindringen würden. Sämtliche Tore waren bewacht.“
„Dann war es einer von der Garde. Ein Verräter, der im Dienste Charyns stand“, sagte Lord Augustin .
Finnikin wartete gespannt auf die Reaktion. Schon seit Tagen hatte er damit gerechnet, dass jemand dieses Thema anschneiden würde.
„Ausgeschlossen“, sagte Perri tonlos. „Niemals.“
„Und wie dann?“, fragte Lord Augustin nach.
„Die Wachen an der Zugbrücke wurden von hinten angegriffen, das war an ihren Verletzungen zu erkennen. Es muss einen Zugang gegeben haben, den nicht einmal der König kannte“, sagte Trevanion.
„Woher wussten dann ausgerechnet die Attentäter davon?“, fragte Lord Augustins Schwager.
„Der Thronräuber war der Vetter unseres Königs und früher einmal Hauptmann seiner Garde“, gab Finnikin zu bedenken. „Vielleicht ist er während dieser Zeit auf einen Geheimgang gestoßen.“
Sein Vater schüttelte den Kopf. „Ich kannte jeden Fußbreit in diesem Palast. Da hätte schon jemand aus dem Palast einen unterirdischen Tunnel graben müssen, ohne dass ich etwas bemerkte.“
Ein erbitterter Streit entzündete sich an der Frage, wie es zu dem Gemetzel an den Waldbewohnern hatte kommen können.
„Der König hätte die Glaubenskinder von Sagrami besser schützen müssen, sie waren uns anderen zahlenmäßig unterlegen“, sagte Lady Abian unverblümt.
„Abie!“ Ein Chor der Entrüstung brach los. „Man redet nicht schlecht von den Toten.“
„Ich habe unseren König ebenso sehr geliebt wie ihr, aber die Waldbewohner hat er falsch eingeschätzt. Hätte er für die Anhänger Sagramis mehr Verständnis gezeigt, dann hätten wir in den Fünf Tagen des Unsagbaren keine Schuld auf uns geladen.“
„Der König konnte doch nicht vorhersehen, dass sein Volk sich nach seinem Tod gegen die Waldbewohner wendet. Was uns angeht, wir haben immer in Frieden mit den Leuten aus dem Wald gelebt“, sagte eine Frau.
„Ja, das redete sich auch der König ein. Wir alle haben es uns eingeredet“, widersprach Lady Abian.
Für eine Weile herrschte Stille.
„Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Charyniten hinter all dem stecken“, sagte Lord Augustins Schwager schließlich und griff damit ein früheres Gesprächsthema wieder auf.
„Natürlich tun sie das“, sagte Finnikin. „Der König hätte gut daran getan, die Bedrohung ernst zu nehmen. Stattdessen hat er mit den Charyniten Verträge geschlossen und sich nur dem höfischen Leben hingegeben.“ Verstohlen warf er Sir Topher einen Blick zu. Finnikin wusste, dass er derselben Meinung war, es aber nie laut aussprechen würde.
„Ich hätte die Jünger der Sagrami schützen müssen“, sagte der Priesterkönig traurig. „Stattdessen schmeichelte ich mir mit der Wichtigkeit meines Amts. Mein Hochmut hat mir die Augen verschlossen vor dem, was um mich herum geschah.“
„Diese Leute haben immer so eine Geheimniskrämerei um ihren Glauben gemacht“, warf eine Frau ein.
„Und das gab uns das Recht, sie aus ihren Häusern zu vertreiben und sie zu verfolgen?“, fragte Lady Abian scharf.
„In anderen Königreichen verehren die Menschen mehr als nur einen Gott oder eine Göttin, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wer von ihnen höher steht“, sagte Finnikin.
„Es ist falsch“, platzte Lady Celie heraus und wurde sofort rot. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass sie etwas sagte. Vielleicht sogar das erste Mal überhaupt, dass sie in Gegenwart von Erwachsenen ihre Stimme erhob.
„Was meinst du damit, mein Liebes?“, fragte ihr Vater.
„Wir sprechen noch immer über die Göttin, als wären es zwei Personen. Es ist falsch, was die Männer in früheren Zeiten behauptet haben.“
„Und die Frauen? Sind denn immer nur die Männer schuld?“, fragte ihr Vater freundlich. „Celie beschäftigt sich nämlich sehr mit Geschichte“, fügte er voller Stolz hinzu. „Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Überlieferungen unseres Dorfes zusammenzutragen.“
„Die Männer sind schuld“, sagte Lady Celie mit bebender Stimme, „weil sie die Bücher geschrieben haben. Sie hatten Angst vor einer Göttin mit zwei Gesichtern.“
Ihren Worten folgte betretenes Schweigen.
„Deshalb haben sie zwei Göttinnen aus einer gemacht“, sagte Evanjalin und legte die Hand auf Lady Celies Schulter. „Die Göttin Lagrami und die Göttin Sagrami. Licht und Dunkelheit. Das führte dazu, dass sich die Menschen entzweiten, weil
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