Winterliebe
leichte Kopfschmerzen hatte er immer noch, deshalb war für ihn weiterhin strikte Bettruhe angesagt. Die Grippewelle, die die bayrische Landeshauptstadt zum Jahreswechsel heimgesucht hatte, war inzwischen abgeflaut. Die meisten Patienten, die hoch fiebernd in die Kronwasser-Klinik eingeliefert worden waren, waren mittlerweile entlassen worden. Es herrschte auf allen Stationen wieder Normalbetrieb. Dem Klinikchef war zu Ohren gekommen, dass Adalbert Siebenstern mit der Tochter der OP-Schwester Claudette befreundet war. Da er Waltraude Pessacker kannte, war es ihm ein Bedürfnis, auch ihren Freund etwas näher kennenzulernen.
"Wie ist das Match eigentlich ausgegangen?” fragte Dr. Emmerson - noch immer die Winterurlaubsbräune im Gesicht - unter anderem.
"Es wurde bei einem Spielstand von zwölf zu zwölf abgebrochen”, antwortete Adalbert. "Als man mich hierher brachte, hatte keiner mehr Lust, weiterzuspielen.”
Hadubrand Emmerson nickte. "Verständlich.”
"Ich bin verrückt”, brummte Adalbert.
"Wieso?”
"Es ging um nichts, und ich setzte mich ein, als gelte es, den Welt-Cup zu gewinnen. Mein falscher Ehrgeiz hat mich hierher gebracht. Wenn ich nicht so verbissen gekämpft hätte, wäre mir der Aufenthalt in Ihrer schönen Klinik erspart geblieben.”
Dr. Emmerson schenkte dem Patienten ein aufmunterndes Lächeln. "Machen Sie das Beste daraus. Sie werden nicht mehr lange unser Gast sein. Ich schätze, man wird Sie übermorgen noch einmal gründlich untersuchen und dann nach Hause schicken.”
"Ich kann es kaum erwarten, heimzugehen. Ich hasse es, so nutzlos herumzuliegen.”
Dr. Emmerson lächelte. "Sie bekommen doch jeden Tag lieben Besuch.”
Adalbert seufzte. "Das ist zurzeit der einzige Lichtblick in meinem eintönigen Dasein.”
"Fräulein Pessacker ist eine sehr sympathische junge Dame”, sagte Dr. Emmerson.
"Sie kennen sie?”
Dr. Emmerson nickte. "Schon seit längerem.”
Adalbert senkte den Blick und strich mit der Hand die Bettdecke glatt. "Ich liebe sie.”
"Ihr Herz hat eine gute Wahl getroffen”, sagte Dr. Emmerson.
"Ja, das finde ich auch. Ich bin sehr glücklich mit Waltraude. Das ist mit ein Grund, weshalb ich so bald wie möglich von hier raus will. Ich möchte mit Waltraude wieder zusammen sein, mit ihr gehen können, wohin ich will.”
"Nur Geduld”, tröstete Dr. Emmerson den ungeduldigen Patienten. "Sie werden noch sehr viel Zeit mit Ihrer geliebten Waltraude verbringen.”
"Sie ist die erste, mit der ich alt werden möchte.” Adalbert lächelte verlegen. "Vielleicht hört sich das aus dem Mund eines Zweiundzwanzigjährigen dumm an, aber so ist es.”
"Dem einen begegnet die Frau fürs Leben früher, dem andern später. Manchem - bedauerlicherweise - nie.”
"Ich habe mein Glück bei Waltraude gefunden”, sagte Adalbert mit verklärtem Blick.
"Dann halten Sie’s mit beiden Händen fest”, riet ihm Hadubrand Emmerson.
"Genau das habe ich vor.”
Dr. Emmerson schaute auf seine Armbanduhr. "Ich muss weiter. Falls Sie etwas brauchen, drücken Sie auf diesen Knopf dort.”
Adalbert schüttelte den Kopf. "Ich brauche nichts. Ich werde bestens betreut und versorgt.”
Hadubrand lächelte zufrieden. "So soll es sein.”
"Sie leiten eine wahre Musterklinik, wissen Sie das? Ich habe schon in zwei anderen Münchner Krankenhäusern gelegen, aber dort habe ich mich nicht so gut aufgehoben gefühlt wie hier.”
"Was machte die beiden anderen Krankenhausaufenthalte erforderlich?” wollte Dr. Emmerson wissen.
"Einmal musste der Blinddarm raus. Und einmal zog ich mir beim Kicken einen Bänderriss zu.” Adalbert grinste schief. "Ich hab’s ja schon gesagt: ich bin verrückt. Ich glaube, ich lasse das Fußballspielen in Zukunft
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