Winterliebe
Wolling.
"Vielleicht kann ich herausbekommen, was sie bedrückt.”
"Schwester Claudette war bisher stets eine äußerst zuverlässige Kraft”, bemerkte Dr. Wolling. "Es wäre mir sehr unangenehm, ihr die Arbeit im Operationssaal bis auf weiteres untersagen zu müssen.”
"Ich werde mich so bald wie möglich mit ihr unterhalten”, versprach Dr. Emmerson. "Mal sehen, was dabei herauskommt.”
29
Adalbert Siebenstern ließ einige Zeit verstreichen, obwohl ihm das nicht leichtfiel. Er wollte Waltraude Gelegenheit geben, sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Sie hatte einen Fehler gemacht, war im Unrecht. Dennoch war sie aufgebraust, als würde alle Schuld bei ihm liegen. Es war - verdammt noch mal - nicht fair von ihr gewesen, sich mit Gregor Massinger zu amüsieren, während er mit einer schweren Gehirnerschütterung in der Kronwasser-Klinik lag. Massinger…! Der Bursche war eine Gefahr für Waltraude. Angeblich handelte er mit Drogen. Angeblich kokste er auch selbst. Er war kein Umgang für Waltraude. Wieso begriff sie das nicht? Was fand sie an diesem skrupellosen, arbeitsscheuen Kerl? Jeden Tag hoffte Adalbert, dass Waltraude sich wieder bei ihm melden würde, aber sie kam nicht, rief nicht an, schrieb nicht. Er hätte es ihr so leicht wie möglich gemacht, sich mit ihm wieder zu versöhnen, doch sie blieb stur - und er auch, weil ihn ihr Benehmen ärgerte. Aber er hatte nicht Waltraudes Härte. Irgendwann vermisste er sie so sehr, dass er verdrossen den Kopf schüttelte und murmelte: "Der Klügere gibt nach.” Und dann fuhr er zu ihr. Nervös läutete er an ihrer Tür. Seine Nerven waren so straff wie Klaviersaiten gespannt, und er hatte einen dicken Kloß im Hals. Er wusste nicht, was er sagen würde, wenn Waltraude die Tür öffnete. Es würde sich ergeben. Vielleicht würde auch sie zuerst reden. Oder sie würde die Tür gleich wieder schließen, wenn sie ihn erblickte. Er läutete noch einmal und schob seinen Krawattenknopf verlegen hin und her. Drinnen waren Schritte zu hören. Gleich würde er Waltraude gegenüberstehen. Vielleicht würde sie froh sein, dass er endlich den ersten Schritt getan hatte. Vielleicht hatte ihr Stolz verhindert, ihm auf halbem Wege entgegenzukommen. Egal. Ihm fiel keine Perle aus der Krone, wenn er diese leidvolle Situation beendete. Die Tür öffnete sich, und Adalbert hielt unwillkürlich den Atem an, doch dann hatte er nicht Waltraude vor sich, sondern ihre Mutter.
"Herr Siebenstern”, sagte Claudette Pessacker überrascht.
Er lächelte verlegen. "Guten Tag, Frau Pessacker. Ist Waltraude zu Hause?”
"Leider nein.”
"Wissen Sie, wo sie hingegangen ist?” fragte Adalbert zaghaft.
"Ich bedaure.”
"Können Sie mir sagen, wann sie heimkommt?” erkundigte sich Adalbert.
"Auch das weiß ich nicht.”
"Hm.” Er kratzte sich hinterm Ohr, wusste nicht, was er sagen sollte. "Dann - dann entschuldigen Sie bitte die Störung.” Er wollte sich umdrehen und fortgehen, doch Claudette Pessacker forderte ihn auf, einzutreten.
Sie tranken zusammen Kaffee, und Adalbert sprach über die Auseinandersetzung, die ihn und Waltraude entzweit hatte. Er gab zu, dass die Schuld auf beiden Seiten lag, und er sagte, er sei willens, sich bei Waltraude wegen der Vorwürfe, die er ihr gemacht habe, zu entschuldigen.
"Würden Sie Ihrer Tochter das ausrichten, Frau Pessacker?” bat er.
"Mach’ ich gerne”, gab Claudette zurück. "Mir liegt nämlich sehr viel daran, dass ihr beide wieder zusammenkommt.”
Adalbert schlug traurig die Augen nieder. "Hoffentlich ist es dafür nicht schon zu spät.”
Claudette horchte auf. "Wie meinen Sie das?”
Adalbert zuckte deprimiert die Achseln. "Nun, wenn Waltraude inzwischen einen andern liebt…”
"Sie befürchten, sie könnte sich aus Trotz in diesen Gregor Massinger verliebt haben?”
"Ich glaube, dazu wäre Waltraude imstande”, sagte Adalbert leise.
Claudette
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