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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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jener äußeren Attribute hatte, die ihn augenblicklich in Bann schlugen, beispielsweise blaue Augen, die Gewohnheit, Perlenschmuck zu tragen, und eines jener Gesichter, das er nicht ohne Schmerz und Sehnsucht anzublicken vermochte. Christiana war ihm schon bald aufgefallen. Mehrmals waren sie sich beim Betreten oder Verlassen eines Stalles begegnet. Er sah, wie sie morgens vor Beginn des Arbeitstages in Red Hook die Karrengäule musterte. (Die meisten von ihnen waren Shetlandponys, die Fuhrwerke mit Blumen zogen oder für Geburtstagsfeiern ausgeliehen wurden, aber gelegentlich war auch ein großer Schimmel darunter, manchmal sogar ein Hengst.) Peter verbeugte sich leicht vor Christiana, wenn er sie bei einer dieser Besichtigungen traf. So wusste sie, dass er sie wiedererkannt hatte. Es entging ihm nicht, dass sie und er bei Versteigerungen die einzigen Besucher waren, die niemals ein Gebot machten.
    Als sie schließlich ins Gespräch kamen, stellten sie verblüfft fest, dass nicht nur das Interesse an Pferden sie miteinander verband (sie wagten es nicht, sich gegenseitig ihre Obsession einzugestehen, denn sie konnten ja nicht ahnen, dass es dieselbe war), sondern dass sie beide bei der Sun arbeiteten. Peter Lake erzählte ihr, dass er bei der Zeitung als Chefmechaniker tätig war, worauf sie erwiderte:
    »Dann sind Sie wohl dieser Mr Überbringer?«
    »Ja. Woher wissen Sie das?«
    Sie wusste es von ihrem Mann. Und wer war der? Er war der Mann, der die Barkasse der Sun steuerte. Ihre Verbindung zur Sun , und damit indirekt auch zu Peter Lake, war sogar noch enger, denn sie arbeitete als Dienstmädchen in Harry Penns Haus. Oft las sie dem alten Herrn etwas vor, wenn Jessica auf Tournee war oder – etwa während Praeger de Pintos Wahlkampf – an öffentlichen Veranstaltungen teilnahm.
    »Ich bin Praeger einmal begegnet«, sagte Peter Lake. »Ich habe zwölfmal für ihn meine Stimme abgegeben, und ich kenne auch Ihren Mann. Ab und zu gibt er mir ein paar Fische. Einmal nahm ich einen, es war ein Blaufisch, mit zur French Mill und ließ ihn in Kräuterbutter braten. Die anderen Mechaniker freuen sich immer auf Asburys Besuche, egal ob er Fisch mitbringt oder nicht. Niemand hört mit größerer Geduld zu, wenn wir ihm unsere Maschinen erklären. Er will über jede einzelne von ihnen genau Bescheid wissen.«
    »Seit einiger Zeit hat er nicht viel zu tun«, erzählte Christiana. »Der Hafen ist zugefroren, und das Boot wird gerade überholt, weil es in letzter Zeit immer wieder Probleme mit der Maschine gab. Es ist ein altes Modell, und er weiß nicht so recht, wie er ihn wieder hinkriegen könnte.«
    »Warum hat er mich nicht gefragt?«
    »Weil er Sie wahrscheinlich nicht stören wollte.«
    »Mich stören? Ich liebe Maschinen. Geben Sie mir Bescheid, wenn er das nächste Mal zum Slip geht.«
    »Sie können ihn dort jeden Tag finden.«
    »Dann gehe ich morgen hin und schaue, was ich tun kann.«
    Als Christiana gegangen war, fühlte sich Peter Lake leicht benommen. Es sah so aus, als hätte er in ihr einen Freund gewonnen, und einen Freund zu haben bedeutete Glück, und zu viel Glück mochte ihn dazu verleiten, seinen Kampf aufzugeben. Aber warum nicht Asburys Motor reparieren? Das konnte ihm bestimmt nicht schaden. Immerhin war der Motor Eigentum der Sun . Und Maschinen der Sun zu reparieren, das war sein Lebensinhalt.

Abysmillard Redux
    I rgendwann im November fingen ein paar große Konzerne plötzlich an, wie verrückt Kirchen aufzukaufen. Und da Craig Binky sich nie gern als Außenseiter vorkam, erwarb er von den Baptisten an der oberen West Side ein halbes Dutzend Gotteshäuser. Trotzdem war er deprimiert, denn nach den gängigen Spielregeln war dies eine recht schwache Leistung. Marcel Aphand hatte immerhin im Stadtzentrum drei Episkopalkirchen und in Astoria eine griechisch-orthodoxe ergattert. Und Crawford Bees war es sogar gelungen, sechzig Synagogen an sich zu bringen!
    Craig Binky hatte es als fürchterliche Kränkung aufgefasst, dass Praeger de Pinto sich mitten im Wahlkampf gegen ihn stellte, und als Praeger die Wahlen sogar gewann, hatte er mit wütender Enttäuschung reagiert. Seiner Meinung nach schuldete man ihm zumindest irgendeine Information über das Schiff, das im Hudson vor Anker lag, aber der neugewählte Bürgermeister hüllte sich in hartnäckiges Schweigen. Er ließ lediglich verlautbaren, dass er das »Projekt« im Dezember öffentlich bekanntgeben würde; Craig Binky würde also zur gleichen

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