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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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verhielt Hardesty sich ganz still und hörte etwas, das wie das Trappeln von vielen hundert Rattenbeinchen klang. Und dann sah er sie! Wie eine Welle brandeten die Short Tails mit hüpfenden und schlenkernden Beinen heran. Es waren ihrer so viele, dass sich das ohnehin nur dämmrige Licht im Tunnel noch mehr verfinsterte.
    »Sie sind immer überall«, sagte Peter Lake, »aber manchmal verschwinden sie auch einfach. Ich freue mich, dass es sie gibt. Wenn sie mich jagen, mache ich Dinge, die ich mir früher nie zugetraut habe.«
    »Ich habe sie am Coheeries-See gesehen«, sagte Hardesty. »Ich hatte keine Ahnung, dass sie jetzt hier sind, aber ich hätte es mir denken können, denn sie wirkten so, als wollten sie mit aller Macht irgendwo hin. Leute, die sich derartig anstrengen, wollen meistens nach New York.«
    »Der Coheeries-See«, wiederholte Peter. »Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht warum.«
    »Die Penns haben dort ein Sommerhaus.«
    Peter schwieg.
    »Harry Penn«, fuhr Hardesty fort, »unser Arbeitgeber …«
    »Den kenne ich nicht«, antwortete Peter mit einer Schroffheit, die ihn selbst überraschte.
    Als sie den U-Bahnhof an der Thirty-third Street erreichten, schwangen sie sich mit einer Flanke auf den Bahnsteig, sehr zum Erstaunen der dort wartenden Fahrgäste. Aber wie staunten die Leute erst, als hundert oder mehr Short Tails in ihrer billigen, aber irgendwie feierlichen, von Änderungsschneidern, vom Verschleiß und von den Jahren arg zugerichteten Kleidung aus dem 19. Jahrhundert mit gurgelnden Vogelrufen und schrillen Schreien den Bahnsteig überschwemmten! Sie umklammerten Schlagringe aus Messing, Messer mit Perlmuttgriff und Pistolen, auf deren Knäufen nackte, sich einladend räkelnde Schönheiten eingraviert waren, wie man sie von Bildern über den Theken gewisser Bars kennt.
    Hardesty und Peter Lake liefen schnurstracks durch den Gramercy Park. Das Tor am anderen Ende brauchten sie nicht zu öffnen. Es löste sich vor ihnen in Luft auf und nahm erst wieder feste Formen an, als die Short Tails gelaufen kamen. Sie saßen nun wie ein Haufen abgehetzter Wiesel in der Falle. Manche versuchten, über das eiserne Tor zu klettern, glitten dabei aber aus und blieben an ihren Hosenträgern hängen. Immerhin gelang es einigen, sich hindurchzuquetschen oder unten durchzukriechen, und so konnte die Jagd weitergehen. Sie führte zunächst über den Madison Square, vorbei an kitschig-bunten, auf nobel getrimmten Gebäuden und neuen Hauptquartieren großer Firmen, und schon bald hatte sich Hardesty so warmgelaufen, dass er dem scheinbar schwerelos dahineilenden Peter Lake mit ebenso schwerelosen Schritten zu folgen vermochte.
    Eigentlich hatten sie vorgehabt, die Short Tails auf geschlungenen Umwegen abzuschütteln, aber wo immer sie sich hinwandten – die Kerle waren schon da, allgegenwärtig wie der dünne, beizende Rauch, der in der Luft lag und sich zu einem dämmrigen Dunst verdichtete, wenn man die längeren Avenuen hinauf- und hinabschaute. Stets gab es irgendwo einen Späher der Short Tails, der die anderen herbeirief, und schon ging die Fuchsjagd weiter, allerdings nicht mit Jagdhörnern und roten Reitkostümen, sondern mit Kehl- und Knacklauten, Höllengeschrei, Hexengekreisch und Zwergengeseufze.
    Schließlich machte Peter Hardesty einen Vorschlag: »Da haben Sie es«, sagte er. »Die Kerle sind überall, und so wird es immer sein. Ehrlich gesagt, sie könnten einem ganz schön Angst machen, aber bisher habe ich immer gegen sie gewonnen. Anscheinend werde ich sogar mit jedem Kampf besser. Im Augenblick haben wir ungefähr fünfzig von ihnen am Hals. Mit so vielen habe ich es bisher nicht aufgenommen, aber als ich im Bahnhof hinter dem Himmel war, hatte ich irgendwie das Gefühl, ich könnte etwas mit meinen Händen anstellen. Etwas Unerhörtes, das nichts mit den Gesetzen der Physik zu tun hat. Ich bin Mechaniker, und meine Arbeit ist bestimmt von universellen Prinzipien und unumstößlichen Gesetzmäßigkeiten. Aber in letzter Zeit sind seltsame Dinge passiert. Seitdem habe ich den Verdacht, dass diese Gesetze zwar noch immer dieselben sind und nicht umgangen werden können, dass wir möglicherweise jedoch sehr wenig von der Vielzahl ihrer Anwendungsmöglichkeiten wissen. Anders ausgedrückt spreche ich von Fähigkeiten, die nach allen Regeln der Logik …«
    »Kommen Sie zur Sache!«, unterbrach Hardesty ihn ungeduldig.
    »Also gut: Warum suchen wir uns nicht eine hübsche

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