Wintermaerchen
gingen, »haben mich diese Kerle mit den schwarzen Jacken, die sich Short Tails nennen, schon einmal verfolgt. Ich werde zwar immer besser mit ihnen fertig, aber sie werden auch immer zahlreicher.«
Zwei Häuserblocks vor dem St. Vincent’s Hospital erblickten sie in dem erstickenden Brodem, der sich nach und nach in der ganzen Stadt ausgebreitet hatte, einen einzelnen Short Tail, der aus einer Seitenstraße heraus auf sie zulief. Sie duckten sich, um einen möglichen Angriff zu parieren, aber kurz bevor der Zwerg sie erreichte, warf er sich vor ihnen in den Schnee, robbte wie ein Seehund an sie heran, rutschte auf dem Bauch zu Peter Lake und begann, ihm wie wild die Füße zu küssen.
»Bitte! Bitte!«, flehte er Peter Lake an. Dabei verschluckte er versehentlich Schnee und prustete. »Meister! Verschone mich!«
»Ich bin nicht hinter dir her«, sagte Peter Lake und hob den Short Tail auf. »Ich werde dir nichts tun, wenn du dich anständig benimmst.«
Der Short Tail klopfte sich den Schnee von der Jacke und von den Hosen mit Fischgrätmuster. Er trug einen scheußlichen Hut von schmeißfliegenhaftem, gallig-grünem Glanz.
»P- P- Pittsburgh!«, stotterte er und spuckte noch immer Schnee. »P -Pittsburgh.«
»Was ist damit?«, fragte Peter Lake.
»Womit?«, fragte der Short Tail, und es klang direkt aufrichtig. Seine Nase war so stark gebogen wie ein Sattelhorn.
»Mit Pittsburgh«, sagte Peter.
»Oh, Pittsburgh«, antwortete der Short Tail fast mechanisch und schien sich plötzlich zu fürchten. »Ich wurde in Pittsburgh geboren. Aber sie haben mich gekidnappt und meine Eltern umgebracht. Oder, besser gesagt, sie brachten zuerst meine Eltern um, und dann haben sie mich gekidnappt. Ich musste eine von ihren Schulen besuchen, eine verdammte Affenschule. Was da alles in der Luft herumflog! Eklige Insekten, Tod und Teufel! Ich musste also in diese Schule und, na ja, lauter blödes Zeug lernen, und, na ja, ich möchte keine Minute länger bei ihnen bleiben. Ich möchte auf deiner Seite stehen.«
»Ich bin selbst auf keiner Seite«, erklärte Peter Lake.
Der Short Tail blickte ihn mit leeren Augen an. »Du meinst, es gibt nur dich und ihn da?«
»Ja, so könnte man es ausdrücken.«
»Und was ist mit dem Pferd?« Mit einem Schlag wurde Peter Lake von Traurigkeit ergriffen. Seine Miene erweckte den Eindruck, als stünde er kurz vor einer wichtigen Entdeckung.
»Du willst sagen, du hast das Pferd nicht??«, fragte der Bandit. »Nein … nein … ich … ich denke, ich …«, stammelte Peter.
»Vor dir haben wir keine Angst!«, sagte der Short Tail fast triumphierend. »Wenn du nur diesen verdammten Gaul nicht hast!«
Mit einer einzigen raschen Bewegung, die Hardesty an die Grandezza eines Zauberers erinnerte, der etwas unter seinem Umhang hervorzieht, zückte der Short Tail ein Messer und stieß es Peter Lake in den Unterleib.
Plötzlich schien es ganz still um Peter Lake zu sein. Sekundenlang stand er da, ohne zu atmen. Er griff nach dem Messer und zog es heraus. In hellrotem Bogen schoss das Blut aus der Wunde. Peter taumelte leicht, machte einige Schritte nach vorn und bedeckte die klaffende Wunde mit der linken Hand. Der Short Tail lachte hämisch und platzte fast vor Selbstzufriedenheit, aber er hatte so viel Angst, dass er wie angewurzelt stehen blieb.
»Du lachst«, sagte Peter Lake mit großer Anstrengung, »obwohl du genau weißt, was dir jetzt blüht!«
»Du bist ein Idiot! Du bist ein Idiot!«, schrie der Short Tail in heller Panik. »Ich komme gar nicht aus Pittsburgh! Und du hast mir geglaubt!«
Peter Lake ballte die Faust in der Luft. Plötzlich wurden dem kleinen Kerl die Arme an den Körper gepresst. »Meine eigne Großmutter hätt’ mir das nicht geglaubt, wenn ich eine gehabt hätte!«, kreischte der Short Tail. Als er plötzlich in die Luft schoss, verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse. Peter Lake presste eine Hand auf die Wunde. Den anderen Arm bog er wie ein Speerwerfer zurück und schleuderte den Short Tail mit ganzer Kraft fort. Der flog mit einem schrillen, hohen Zischen die Sixth Avenue hinauf, fing Feuer, segelte wie ein hell glühender Komet über Schlitten und Taxis hinweg und verdampfte schließlich in einem unscheinbar grauen, säuerlichen Rauchwölkchen.
*
Praeger de Pinto war in ein riesiges, ledergebundenes Buch mit Berichten und Protokollen vertieft. Er versuchte, in der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts eine metaphysische Lösung für die schier
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