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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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geschlossenen Ring um den Platz, weshalb Praeger sich hier immer wie auf dem Grund eines tiefen Schachtes fühlte.
    Der Fifth Grand Tower war das höchste Gebäude der ganzen Stadt. Selbst mit einem Express-Aufzug dauerte es fünf Minuten, bis man ganz oben war. Als sie ankamen, wurden gerade die letzten Touristen in gläsernen Außenfahrstühlen zusammengepfercht, um die windige Fahrt nach unten anzutreten. Ein Wachmann übergab Praeger und Eustis Galloway starke Ferngläser und meldete ihnen, dass er den Zeitmechanismus der Münzfernrohre auf der Aussichtsplattform außer Kraft gesetzt habe.
    Oben angelangt, wandten sich Eustis Galloway und der Bürgermeister zunächst nach Norden. Praeger hatte den Feuerwehr-Chef eigentlich maßregeln wollen, weil ihm die Dinge so aus der Hand geglitten waren. Als er jetzt jedoch sah, wie schnell sich das Feuer ausbreitete, unterließ er es. Ganz sicher waren Brandstifter am Werk, denn in den dunklen Bereichen, die bisher noch vom Feuer verschont waren, sprühten plötzlich ebenfalls Funken auf, aus denen sehr schnell Brände wurden, die sich dann zu wirbelnden Tornados und Feuerstürmen vereinten. Es schien, als habe die Welt begonnen, sich selbst zu verzehren, wie es seit alters her für jede Jahrtausendwende vorhergesagt worden war. Nur glaubte inzwischen kaum noch jemand an alte Sagen.
    Die Stadt war gefangen in einer Kuppel aus orangerotem Rauch, die fest und glatt wie Alabaster schien. Kein einziger Stern war zu sehen, nicht einmal direkt über ihnen, wo ein gewaltiger Mahlstrom in Form einer Spirale mit rasender Geschwindigkeit aufwärtsrotierte. Den Horizont entlang bewegten sich Wolken verschiedener Dichte im Uhrzeigersinn. Manche waren bauchig und schienen von innen heraus zu glühen, andere waren in kleine Flocken zerzupft. Alle jagten sie dem Hexenkessel in der Höhe entgegen und breiteten sich dann über den düsteren Himmel aus.
    »Sehen Sie, dort!«, sagte Praeger und wies auf einen Glasturm an den Palisades , der plötzlich wie ein Vulkan explodierte. Es war kaum eine Minute vergangen, da schossen schon Flammen wie lichterloh brennende Flügel aus dem Gebäude heraus und umgaben es kranzförmig. Selbst dem hartgesottenen Feuerwehrmann stockte bei diesem Anblick der Atem. Bevor das Gebäude in sich zusammenbrach, sahen sie sein Stahlskelett, das sich für kurze Augenblicke dunkel und rotglühend gegen die weiß und golden leuchtenden Flammenquadrate abhob, die einmal Zimmer gewesen waren.
    Treibstofftanks explodierten. Benzin und Öl floss aus und entzündete sich. Riesige Feuerströme wälzten sich in die Flüsse und Buchten und schnitten flammende Schluchten in das mehrere Hundert Fuß dicke Eis. Die Feuer, die in diesen Eisgräben brannten, schickten Wolken weißen Dampfes und schwarzen Ölqualm empor.
    Sie verzweigten sich nach allen Seiten bis zu den Kavernen im Eis. So kam es, dass ein Teil des Hafens im Durchmesser einer halben Meile nur noch von einem zerbrechlichen Kristalldach überwölbt war. Das Feuer hatte eine Höhlung aus dem Eis herausgeschmolzen und ließ sie von innen wie eine gigantische Lampe erglühen. Wasser und Dampf schossen mit Macht durch Spalten in der Eiskruste und bildete Geysire, die bis zu tausend Fuß hoch in den Himmel spuckten.
    Als das Kommunikationsnetz schließlich funktionierte, meldete ein Techniker dem Bürgermeister, er habe den Gouverneur in der Leitung. Er brauche nur zu sprechen, alles würde verstärkt, auch seine eigene Stimme.
    »Was wollen Sie eigentlich mit all diesen Truppen dort unten?«, dröhnte Praeger die Stimme des Gouverneurs aus dem Nichts entgegen. Die Worte hallten auf der Aussichtsplattform wider.
    »Zu allererst möchte ich Ihnen sagen, dass hier bei uns zehntausend Brandstifter rumlaufen«, sagte Praeger.
    »Die Truppen sind für so etwas nicht ausgebildet. Das ist die Arbeit der Polizei«, sagte die Stimme des Gouverneurs.
    »Was meinen Sie mit Polizeiarbeit?«, bellte Praeger zurück und schaute sich um, um zu erfahren, woher die Stimme kam. »Sie sollen nicht die Arbeit der Polizei verrichten, sie sollen Brandstifter und Plünderer erschießen!«
    »Und wohin soll das führen?«, fragte der Gouverneur.
    »Die ganze gottverdammte Stadt brennt!«, gab Praeger grimmig zurück. »Je mehr Brandstifter und Plünderer erschossen werden, desto weniger Häuser werden bei uns geplündert und in Brand gesteckt. Versteht sich das denn nicht von selbst?«
    »Und zu welchem Preis?«
    »Was heißt hier Preis ? Es

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