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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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wird sowieso nichts übrig bleiben.«
    »Was soll dann das Ganze?«, fragte der Gouverneur in einem Tonfall, aus dem seine langjährige Feindseligkeit gegenüber einer Stadt sprach, in die er sich nur selten hineinwagte.
    »Ich werde Ihnen sagen, was es soll, Herr Gouverneur«, antwortete Praeger so laut, dass seine Stimme überall zu hören war. »Die Stadt wird nicht ewig brennen. Wir werden sie wieder aufbauen! Schon im Sommer, Sie werden sehen, wird hier eine Stadt entstanden sein, von der Sie nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Und soll ich Ihnen noch etwas sagen? Wenn das Feuer noch diese Nacht aufhört, werden wir morgen früh mit dem Wiederaufbau beginnen. Wenn es erst morgen früh erlischt, fangen wir am Nachmittag an. Wann immer es so weit ist: Ich wünsche, dass dann kein Brandstifter mehr am Leben ist. Bei jedem Streichholz, das die Leute anzünden, sollen sie sich daran erinnern, was mit den Urhebern dieses Feuers geschehen ist.«
    »Was Sie hier über Wiederaufbau verkünden, glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen gesehen habe«, sagte der Gouverneur.
    »Sie werden es schon sehen! Beim Wiederaufbau sind wir die Schnellsten in der Welt – wir handeln sogar noch schneller, als wir reden. Was das Feuer uns nimmt, das holen wir uns auf andere Art wieder. Wir tun einfach so, als sei es nur auf der Durchreise gewesen!«
    Der Gouverneur lenkte schließlich ein. Er versprach, alsbald die Miliz in Bewegung zu setzen.
    »Eustis«, sagte Praeger noch über den Lautsprecher, »ziehen Sie alle Lastwagen zusammen. Ich möchte sichere Inseln in diesem Flammenmeer schaffen. Notfalls werde ich dort jedes Gebäude einzeln schützen lassen.« Der Feuerwehr-Chef schüttelte den Kopf. Anscheinend hielt er alles, was Praeger verlangte, für hoffnungslos.
    »Beeilen Sie sich!«, sagte Praeger. »Entscheiden Sie selbst, wo diese Inseln geschaffen werden sollen, und schützen Sie sie dann! Jeder, der nicht sofort spurt, wird gefeuert …« Er hielt inne und verbesserte sich: »Das war vermutlich nicht ganz das richtige Wort.«
    »Auf Manhattan hat das Feuer noch nicht übergegriffen«, meldete ein Assistent. »Sollen wir versuchen, Manhattan insgesamt zu halten?«
    »Nein«, antwortete Praeger, »Manhattan ist zu groß. Das würde nie gelingen. Bilden Sie Inseln! Bilden Sie Inseln und sichern Sie sie!«
    *

    Auf Abbys Etage im St. Vincent’s Hospital eröffnete eine Reihe hoher Fenster einen Ausblick nach Norden. »Schaut mal!«, sagte Peter Lake, als er die Färbung des Himmels sah.
    »Was ist denn das?«, fragte Hardesty und ging dicht an eines der Fenster heran. Der ganze Himmel war rot. Aber anders als bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang pulsierte und flackerte er. Übergroße Schneeflocken, die sich um Aschepartikel gebildet hatten, fielen so gerade herab, als wären sie aus Blei.
    »Es muss ein Feuer sein«, sagte Peter Lake. »Damit wäre der helle Widerschein erklärt. Die Flammen sind bestimmt bis zu tausend Fuß hoch.«
    Als jemand an die Tür klopfte, glaubte Virginia, es seien die Männer aus der Leichenhalle. Unwillkürlich fuhr sie zusammen und starrte ausdruckslos vor sich hin, denn sie hätte am liebsten niemanden in das Zimmer gelassen. Dann besann sie sich jedoch, stand auf und ging langsam quer durch den Raum zur Tür, die sie mit Tränen in den Augen öffnete.
    Als sie sich Hardesty gegenübersah, senkte sie den Kopf. Er traute seinen Augen nicht, als er sah, dass das Laken über Abbys Gesicht gezogen war.
    »Sie ist tot«, sagte Virginia zu ihm.
    »Dich kenne ich!«, sagte Mrs Gamely da fast vorwurfsvoll zu Peter Lake. »Du hast damals den Schlitten gelenkt. Seitdem bist du keinen Tag älter geworden. Wie ist das möglich? Warum bist du jetzt hier?«
    »Sei still, altes Plapperweib!«, befahl Peter. Bestimmt war die Alte hysterisch, und mochten ihre Worte in ihm auch eine vage Vorstellung wachrufen, so hatte er doch solche unerklärlichen, bruchstückhaften Erinnerungen inzwischen gründlich satt.
    »Du weißt doch, worüber ich rede, oder?«, fragte sie ihn. »Es war vor langer Zeit, am Coheeries-See. Beverly …«
    Peter Lake schüttelte sich. »Halt den Mund, altes Weib!«, schrie er. »Sei jetzt bloß still, sonst lasse ich dich um die halbe Welt segeln!«
    Mrs Gamely fuhr erschrocken zurück. Der kleine Martin eilte zu ihr und stellte sich an ihre Seite, als wollte er sie vor Peter Lake beschützen.
    Mit der Miene eines Schlossermeisters, den man gerufen hat, um die Tür zu einer

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