Wintermaerchen
hinabpurzelt. Mootfowl hatte es in der kurzen Zeit nicht vermocht, die wahren Fähigkeiten dieses eigentlich sehr intelligenten Knaben zu fördern und auszubilden. Cecil Mature ließ es nicht an Eifer mangeln, aber nur selten machte er etwas richtig. So kam es, dass die anderen Lehrlinge ängstlich die Luft anhielten, als er nun das Feuer schürte und das zu bearbeitende Werkstück in die Glut legte, um es ein paar Minuten später auf dem Amboss mit Hammerschlägen zu traktieren. Was er da fabrizierte, war eine rechte Pfuscherei, aber noch war nicht alles verloren. Cecil Mature ließ den Hammer sinken, trat ein paar Schritte zurück, rückte seine Kappe zurecht und betrachtete sein Werk aus zusammengekniffenen Augen. Dann trat er wieder an den Amboss und hämmerte so lange auf dem Stück Eisen herum, bis es aussah wie ein ausgeglühter Erzbrocken, der von einem Meteoriten stammte. Als alles vorüber war, drehte sich Cecil um und verschwand mit ein paar flinken Schritten zwischen den Reihen der anderen Lehrlinge.
Jackson Mead bedankte sich bei dem kreidebleichen, sprachlosen Mootfowl und stieg in seine Kutsche, um im Hafen eine neu eingetroffene Schiffsladung von Eisenträgern zu inspizieren. Mootfowl ließ seine fünfzig Lehrlinge einfach stehen. Eine Woche lang wurde nicht gearbeitet. Mootfowl lag untätig und in finstere Grübeleien versunken von morgens bis abends auf seinem riesigen Werkzeugkarren und starrte zu einer Dachluke hinauf, durch die das Sonnenlicht in die Werkstatt flutete. Nach einer Woche ließ er Peter Lake zu sich rufen.
Peter war außer sich vor Freude, denn er wusste, dass Mootfowl nicht zu bremsen war, sobald er etwas anpackte. Er fand seinen Lehrmeister damit beschäftigt, in der Mitte der Werkstatt ein seltsames Gerüst aufzurichten. Peter sagte sich, dass dies gewiss eine Konstruktion werden sollte, mit der sich Mootfowl doch noch bei Jackson Mead ins rechte Licht zu rücken hoffte. Deshalb ging er Mootfowl eifrig zur Hand, obwohl er nicht wusste, woran sie bauten und warum Mootfowl wie von Sinnen arbeitete.
»Jetzt haben wir es gleich«, sagte Mootfowl. »Ich muss nur noch ein paar Messungen machen und ein paar Schrauben festziehen. Sobald ich dir Bescheid sage, Peter, nimmst du den Vorschlaghammer und schlägst mit ganzer Kraft auf diese Stange.«
Mootfowl verschwand hinter einer hölzernen Bretterwand, aus der in Brusthöhe eine eiserne Stange herausragte. »Schlag zu, Peter Lake, schlag mit ganzer Kraft zu!«
Peter tat, wie ihm geheißen, und wartete auf weitere Instruktionen. Er wartete und wartete – und als er schließlich nachschauen ging, fand er Mootfowl dicht hinter der Bretterwand an einen Eichenpfahl gelehnt. Sein Gesicht war zu einem heiteren Lächeln gefroren. Die eiserne Stange hatte sein Herz durchbohrt.
»O mein Gott!«, sagte Peter Lake. Er war zu schockiert, um Schmerz und Trauer zu empfinden. Er hatte Mootfowl wie einen Schmetterling aufgespießt, Mootfowl, den er so sehr geliebt hatte!
Man kann keinem Geistlichen eine Eisenstange mitten durchs Herz treiben und erwarten, ungeschoren davonzukomen. Diese Überlegung reichte, um Peter die Flucht ergreifen zu lassen. Ein neuer Lebensabschnitt lag vor ihm. Er ließ seine Lederschürze zurück, aber er nahm sein Schwert mit.
*
Während er aufs Geratewohl die Straßen und Alleen der Stadt durchstreifte, legte sich Peter Rechenschaft über seine Lage ab. Er war mittlerweile fast zwanzig Jahre alt. Seit einiger Zeit zierte ein nicht allzu üppiges Schnurrbärtchen seine Oberlippe. Sein blondes Haar hatte einen rötlichen Schimmer, und er hatte eine hohe Stirn und buschige Augenbrauen. Sein Gesicht war von gefälligem Schnitt. Aus seinen Augen sprach entwaffnende Freundlichkeit und viel Humor. Zugleich war ihnen anzumerken, dass ihnen nichts entging. Wäre er ein Aristokrat gewesen, dann hätte er es im Leben weit bringen können. Doch auch so lag die ganze Welt vor ihm ausgebreitet. Voller Zuversicht bewegte er sich durch die Straßen der Stadt. Schließlich war er doch ein ausgezeichneter Handwerker, ein kräftiger junger Mann, der sich auf seine Arbeit verstand! Sicherlich war bald die Polizei hinter ihm her, aber noch fühlte er sich unbehelligt und frei.
Er fühlte sich unbehelligt – bis er um eine Ecke bog und sich plötzlich Cecil Mature gegenübersah. Dessen Gesicht verzog sich zu einem so breiten Lächeln, dass die Schlitzaugen gänzlich in ihren Fettpolstern verschwanden. Um überhaupt etwas sehen zu
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