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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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Ganoven trat Pearly an die Theke und schaute sich um. Sein Blick fiel auf Peter Lake und Cecil Mature, die, über ihren Braten gebeugt, an einem Tisch saßen. Pearly sah sofort, dass in Peters Gürtel ein kurzes Schwert steckte. Er trat in die Mitte des Schankraumes und sagte mit lauter Stimme:
    »Kannst du überhaupt mit einem Schwert umgehen?«
    Da diese Frage einen drohenden Unterton gehabt hatte, erhob sich Peter von seinem Stuhl. Die anderen Gäste bildeten eilig eine Gasse zwischen ihm und Pearly Soames.
    »Allerdings kann ich das, Sir!«, sagte Peter.
    »Bist du dir wirklich sicher?«
    Peter Lake nickte.
    »Dann zeig mal, was du kannst!«, rief Pearly Soames. Plötzlich hielt er einen Apfel in der Hand und schleuderte ihn mit ganzer Kraft Peter entgegen.
    Gleich darauf schien sich der Apfel in Luft aufgelöst zu haben. Peter stand in derselben Haltung da wie zuvor. Alle Anwesenden glaubten, dass er nicht einmal die Zeit gefunden hatte, um sein Schwert zu ziehen. Pearly Soames schnaufte verächtlich. Doch dann wurden von weiter hinten Teile eines Apfels nach vorn gereicht. Pearly Soames warf einen Blick darauf. Der Apfel war fein säuberlich in vier gleich große Stücke zerteilt worden. Ob sich hier jemand über ihn lustig machen wolle, schrie Pearly erbost. Aber Peter sagte lachend, nein, er selbst habe den Apfel gevierteilt.
    »Zeig mir dein Schwert!«, rief Pearly.
    Das Schwert war sauber und trocken.
    »Natürlich ist es sauber«, sagte Peter ungerührt. »Ich habe es abgewischt, bevor ich es wieder in den Gürtel steckte.«
    » Was hast du?«
    »Aber ja, überzeugen Sie sich selbst!« Peter trat näher an Pearly heran und wies auf zwei feuchte Streifen an seinem Hosenbein.
    Pearly bezahlte nicht nur Peters und Cecils Mahlzeit, sondern er spendierte auch ein Bier nach dem anderen. Dennoch spürten die beiden instinktiv, dass sie in der Klemme saßen. Pearly wollte sie unbedingt in seine Bande aufnehmen. Sie lehnten mit dem Hinweis ab, das sei ihnen zu gefährlich. »Aber doch nicht für dich!«, sagte Pearly zu Peter. Es kam nicht oft vor, dass er solche Komplimente machte. »Überleg dir genau, was du mir antwortest. Es kann gefährlich sein, mir eine Absage zu erteilen.«
    Scheinbar ungerührt widmeten sich die beiden jungen Burschen weiterhin ihrem Braten. In Pearlys Augen trat ein gefährliches Glitzern. »Ich glaube, ich kenne dich«, sagte er zu Peter. »Ja, du bist der Kerl, der diesen Kirchenmann aufgespießt hat!«
    Peter blieb der Bissen im Hals stecken. Erschrocken starrte er in Pearlys diamantharte Augen.
    »Wie war doch gleich der Name des Geistlichen? Ja, jetzt erinnere ich mich – Mootfowl! Wirklich eine haarige Angelegenheit! Alle Polizisten der Stadt sind hinter dir her. Lange wird es nicht dauern, bis man dich und dein Dickerchen erwischt! Na, was sagt ihr jetzt?«
    Noch am selben Abend wurden Peter und Cecil Mitglieder der Short-Tail-Bande.
    *
    Zehn Jahre lang eignete sich Peter bei den Short Tails eine Anzahl höchst ungewöhnlicher Fertigkeiten an. Im Lauf der Zeit lernte er auch die Stadt immer besser kennen, aber er wusste, dass sie zu riesig und zu quecksilbrig war, als dass man sie je hätte gänzlich ergründen können. Unablässig wandelte sie sich – genau wie er selbst, zumal ihm innerhalb der Bande, dieser lebenden Enzyklopädie des Verbrechens, im Verlauf der Jahre die unterschiedlichsten Aufgabenbereiche zugewiesen wurden. Ständig wurde er bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gefordert, aber genau dadurch kam er voran.
    Zu dem Zeitpunkt, als Pearly seine Bande in der Kanalisation tief unter der Stadt um sich versammelte, arbeitete Peter Lake noch als »Woola-Boy«. Davor war er Einbrecher gewesen, berufsmäßiger Falschspieler, Bilderdieb, Kurier, Spitzel, Hafenganove und Panzerschrankknacker. Die Tätigkeit eines Woola-Boys war eine sehr spezielle Angelegenheit, die erst in jüngster Vergangenheit entwickelt worden war und für die nur wenige Menschen taugten. Eigentlich war Woolawoola nur eine komplizierte Methode, um Lastwagen und Pferdefuhrwerke auszuplündern. Der Anführer der Woola-Boys war ein gewisser Dorado Canes. Sein Team bestand aus einem runden Dutzend junger Burschen. Zu zweit oder zu dritt pflegten sie in Hauseingängen und Toreinfahrten zu lauern, bis ein beladener Lastwagen vorbeifuhr. Plötzlich tauchte dann wie aus dem Nichts mitten auf der Straße einer der Woola-Boys vor dem fahrenden Lastwagen auf, gestikulierte wild mit den Armen und

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