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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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können, musste Cecil dieses Lächeln gewissermaßen von Zeit zu Zeit abschalten.
    »Wer hat dir erlaubt, mir nachzulaufen, verdammt noch mal?«, entfuhr es Peter.
    »Niemand, aber ich dachte mir …«
    »Du musst zurück ins Heim! Die Polizei ist hinter mir her.«
    »Das ist mir egal.«
    »Aber mir nicht. Los, hau ab!«
    »Ich will aber mit dir gehen!«
    »Das ist unmöglich. Na los, hau schon ab! Geh nach Hause, Cecil!«
    »Ich gehe hin, wo es mir beliebt.«
    »Aber kapierst du denn nicht, dass die Polizei mich in ein paar Stunden schnappt, wenn ich dich mitnehme?«
    »Wir leben in einem freien Land. Jeder kann hingehen, wo er will. Das ist Gesetz!«
    »Ich schneide dir die Rübe ab!«
    »Das wirst du nicht tun!«
    »Dann laufe ich dir eben einfach weg!«
    »Das schaffst du nicht, dazu bin ich zu schnell. Außerdem könnte ich dir helfen. Ich habe gelernt, Gemüse zu kochen. Ich bin ein guter Koch.«
    »Das ist genau, was ich als flüchtiger Mörder gebrauchen kann – einen Koch, der mir ein Gemüsesüppchen kocht!«, spottete Peter.
    »Ich kann auch andere Sachen kochen, Wäsche waschen und nachts Wache schieben. Ich bin auch ein guter Schmied, vielleicht nicht der beste, aber ziemlich gut«, beteuerte Cecil. »Ich kann sogar tätowieren!«
    Peter blieb wie angewurzelt stehen. »Du kannst was ?«
    » Ja, ich kann tätowieren.«
    »Und wo hast du das gelernt?«
    »Bevor ich geschnappt und ins Heim gesteckt wurde, war ich Lehrling in einem Tätowiersalon.«
    »Ich dachte, du wärst auf einem Heringskutter zur See gefahren.«
    »Ja, aber danach bin ich Tätowierer geworden.«
    »Wo denn?«
    »In China.«
    »Soso, in China.«
    »Ich meine natürlich die Gegend der Stadt, wo die Chinesen wohnen. Wie heißt sie noch gleich? Chinatown!«
    »Na gut, du kannst also tätowieren.«
    »Ja, ich kann damit sogar Geld verdienen. Ein paarmal habe ich heimlich reiche Frauen in ihren feinen Häusern tätowiert. Sie waren splitternackt. Ich war damals erst zehn.«
    Peter Lake begann Cecil in einem neuen Licht zu sehen. »Was hast du ihnen denn auf die Haut tätowiert?«, erkundigte er sich.
    »Landkarten, Sanskritworte, Teile der Menschenrechtserklärung – lauter Sachen, die ich aus Büchern abschrieb. Der Frau des Bürgermeisters habe ich sogar die Pobacken tätowiert. Wang Fu sagte mir, was ich zu tun hatte. Er stand mit dem Bürgermeister hinter einem Vorhang und schaute zu. Auf eine Pobacke tätowierte ich die Landkarte von Manhattan, auf die andere die Karte von Brooklyn. Die Frau wollte damit den Bürgermeister zum Geburtstag überraschen.«
    Beeindruckt von Cecil Matures Vielseitigkeit, erlaubte Peter dem Dicken schließlich, sich ihm anzuschließen, allerdings nur unter der Bedingung, dass sich ihre Wege jederzeit trennen konnten und dass Cecil auf seine komische Mütze verzichtete. Stattdessen erstanden sie einen chinesischen Hut, gewissermaßen zum Andenken an Mootfowl, der stets einen solchen Hut getragen hatte – ebenso übrigens wie jener Wang Fu, an den sich Cecil immer wieder gern erinnerte.
    In den folgenden Tagen und Wochen hausten die beiden in Kellerlöchern und auf den Dachböden verlassener Häuser. Sie lebten fast ausschließlich von Cecils Tätowierkunst. Als die Mootfowl-Affäre allmählich in Vergessenheit geriet, verdingte sich Peter hin und wieder unter falschem Namen als Schmied.
    Eines Abends gingen sie nach einem harten Arbeitstag in eine Kneipe, bestellten sich ein Bier und machten sich heißhungrig über einen Teller mit Braten, Gemüse und frischem Brot her. Der große, hell erleuchtete Raum war von Stimmengewirr erfüllt. In einem Kamin prasselte ein wärmendes Feuer. Plötzlich verstummten die Gespräche der Gäste. Es wurde so still, dass man fast das Eis im Kübel schmelzen hörte.
    Pearly Soames hatte den Raum betreten, um nach Zerstreuung Ausschau zu halten. Mit dem silbrigen Schnurrbart und den flauschigen Koteletten, die von seinen rosigen Wangen abstanden, wirkte er wie eine große, angriffslustige Raubkatze. Sogar eine Kobra hätte sich seiner hypnotischen Kraft nicht entziehen können. Er verstrahlte Selbstbewusstsein, Energie und Verschlagenheit. Aus reinem Zeitvertreib suchte er irgendwelche Kneipen auf und genoss es, wenn die Gäste bei seinem Anblick verstummten. Erst kürzlich war er Anführer der Short Tails geworden, nachdem er mit grausamer Berechnung seinen ebenso grausamen und berechnenden Vorgänger Mayhew Rottinel massakriert hatte.
    Gefolgt von einer Rotte widerwärtiger

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