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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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groß wie ein Wecker, doch in Jackson Meads riesiger Pranke wirkte sie fast klein. Seine ausgezeichnete Gesundheit und seine Körperkraft machten es schwer, sein wahres Alter zu schätzen. Es ging das Gerücht, dass er nur rohes Büffelfleisch aß, Adlerurin trank und in Mineralwasser badete. Als er einmal in aller Öffentlichkeit danach befragt wurde, musste er schallend lachen und gab die Antwort: »Ja, natürlich stimmt das!« Ein solcher Mann wurde entweder geliebt oder gehasst.
    Peter war von ehrfürchtigem Staunen erfüllt, als Mootfowl ihn und die neunundvierzig anderen Lehrlinge in Jackson Meads spärlich möbliertes Büro führte. Das also war der bedeutende Mann! Er sah aus wie ein übergroßes Gemälde, neben dem Mootfowl zu einer unbedeutenden Figur schrumpfte. Peter verstand nicht, wie jemand diesen Mann hassen oder ihn als hart und grausam bezeichnen konnte. Im Gegenteil – die weiße Kleidung, das volle, lockere Haar und der buschige Schnurrbart verliehen ihm das Aussehen eines Mannes von gelassener Selbstsicherheit und geradezu exemplarischer Ausgeglichenheit. Gewiss war es genau diese persönliche Ausstrahlung, die in manchen Menschen Hass erzeugte, sagte sich Peter. Dieser Mann wusste immer genau, was er wollte, und er zögerte nie. Andere, die von Zweifeln geplagt wurden und die Dinge gegeneinander abzuwägen gewohnt waren, mussten einen Mann wie Jackson Mead beneiden, denn stets schien er zu wissen, was getan werden musste und warum. Es war, als seien die normalen Probleme des menschlichen Daseins für ihn seit Jahrhunderten erledigt, sodass er sein ganzes Augenmerk auf den Bau von Brücken richten konnte.
    Nachdem Mootfowl die Gründe seines Kommens dargelegt hatte, meinte Jackson Mead, das Angebot seines Besuchers sei in der Tat höchst interessant, denn er brauche geschickte Schmiede, Mechaniker und Maschinisten. Allerdings falle es ihm schwer zu glauben, dass Mootfowls Lehrlinge all den schwierigen Aufgaben gerecht werden könnten.
    »Auf diesen Einwand war ich gefasst, Sir«, erwiderte Mootfowl. »Deshalb bitte ich Sie, uns einer Prüfung zu unterziehen. Wählen Sie bitte irgendeinen meiner Lehrlinge aus und lassen Sie ihn eine jener Arbeiten ausführen, die beim Bau der Brücke auftreten könnten. Wir sind bereit, eine Probe unseres Könnens zu liefern.« Nach diesen Worten trat Mootfowl stolz, aber auch sichtlich nervös ein paar Schritte zurück.
    Jackson Mead erwiderte, er würde den ganzen Trupp anheuern, wenn ein von ihm zu benennender Lehrling ein siebenkantiges Verbindungsstück ohne erkennbare Unregelmäßigkeiten zu schmieden verstünde. Als sich der weißhaarige Brückenbauer bei diesen Worten hinter seinem Schreibtisch erhob, um Mootfowls versammelte Mannschaft besser überblicken zu können, erschauerten die Knaben. Doch gleich darauf erstarrte ihnen fast das Blut in den Adern, denn Jackson Mead wies mit dem Finger geradewegs auf einen kleinen dicklichen Jungen, der sich in der hintersten Reihe herumdrückte. »Der dort!«, sagte er. »Eine Kette ist bekanntlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied.«
    Seine Wahl war ausgerechnet auf Cecil Mature gefallen, ein kleines Dickerchen mit einem Gewicht von fast zweihundert Pfund, dessen schwarze, ewig lächelnde Schlitzaugen in wabbelige Fettpolster eingebettet waren. Ursprünglich war er Gehilfe in der Küche des Heimes gewesen, aber er hatte so lange gebettelt, bis er in der Schmiedewerkstatt als Lehrling aufgenommen wurde. Auf seinem kugelrunden Kopf mit dem kurz geschnittenen Kraushaar trug er eine runde Mütze mit hochgestülpter, krenelierter Krempe. Seine Arme waren so pummelig und rund wie Würste. Beim Gehen watschelte er wie eine Ente, bewegte sich jedoch erstaunlich flink. Er war noch nicht lange in Overwearys Heim für obdachlose Knaben. Niemand wusste, woher er eigentlich stammte. Angeblich erinnerte er sich schwach an ein Leben an Bord eines englischen Heringskutters. Cecil Mature war vierzehn Jahre alt, und er wirkte nicht eben so, als habe er die Weisheit mit Löffeln gefressen.
    Als er vernahm, dass ausgerechnet er mit der Prüfungsaufgabe betraut worden war, verzog sich sein Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln. Unverzüglich machte er sich auf den Weg zur Schmiedewerkstatt. Die anderen folgten ihm und fragten sich bange, was nun geschehen würde. Gewiss, Cecil war allseits beliebt, aber man mochte ihn so wie einen tollpatschigen jungen Hund, der ständig über die eigenen Beine stolpert und die Treppe

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