Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
Vom Netzwerk:
Metallgehäuse einer Brotschneidemaschine. Peter hatte die Frau gefragt: »Was hat das mit Romantik zu tun?« Doch nun verschwand die Erinnerung an diese und an alle anderen Frauen schnell hinter Beverlys Bild, das immer mehr von ihm Besitz ergriff. Beverly! Dieses eine junge Mädchen überflutete seine Seele und sein Hirn mit Farbe, als hätte er aus dem Bottich eines Färbers getrunken.
    Wie sollte er dies nur Mootfowl erklären, seinem Lehrer von einst, der ihn allgegenwärtig umschwebte! Es war, als lebte Peter Lake in einem Gemälde, und Mootfowl wäre eine Gestalt auf einem Gemälde innerhalb dieses Gemäldes. Er saß hoch oben auf dem Sims eines Bogenfensters in der Sonne und starrte hinab in die Kapelle von Peters Leben. Mootfowl war immer willens, ihm zu vergeben, aber er wollte stets die Wahrheit wissen. Und die Wahrheit war, dass jenes Mädchen schwindsüchtig war, mehr noch: Sie war dem Tode nahe. Das wusste Peter genau, und er bezog dieses Wissen aus seinem bisherigen Leben im Kreise dunkler, nur noch sacht glühender Seelen, die sich anschickten, von den flachen Dächern der Stadt abzuheben und sich in Luft aufzulösen. Jenes Kind im Treppenhaus war keineswegs das einzige, das er am Kreuzweg zwischen zwei Welten angetroffen hatte. Diese Wesen waren so zahlreich wie Blumen im Frühling. Man fand sie zu Dutzenden in Dachkammern, die mit Eisenbetten vollgestopft waren, und in den allzu engen Gärten der Armenspitäler. Scharenweise starben sie dahin. Meist reichte ihre Kraft nicht einmal mehr zu einem letzten Schrei. Schon bald würde sich Beverly diesen armen Seelen anschließen, lange konnte es nicht mehr dauern, bis in ihr die letzte Glut erlosch. Wie konnte er, Peter, sich so sicher sein, dass er sie liebte? Sie war reich, bei ihr war viel zu holen. Aber auch die Reichen starben und enttäuschten all jene, die irgendwie gehofft hatten, mit ihnen verhalte es sich anders. Peter Lake machte sich über die Sterblichkeit der Menschen keine Illusionen. Er wusste, dass vor dem Tod alle gleich sind. Der Reichtum dieser Erde sind Bewegung und Mut, Lachen und Liebe. Diese Dinge waren für Geld nicht zu haben. Sie gehörten dem, der sie sich nahm. Peter Lake hatte nach eigenem Ermessen nicht allzu viel von ihnen abbekommen, und er war auch nicht reich, sofern mit Reichtum Gold, Silber und Wertpapiere gemeint sind. (Übrigens hatte er einmal in einer Bank viele Wertpapiere gestohlen. Aber es war schwer, sie zu barer Münze zu machen.) Beverly war die Erbin eines so großen Vermögens, dass allein der Gedanke daran den Charakter eines Mannes verändern konnte. Ein solches Vermögen wirkte, als würden einem irgendwelche Stimulanzien direkt in den Blutstrom injiziert. Peters Herz klopfte heftig, wenn er an die Millionen, die zig Millionen, die Hunderte von Millionen dachte.
    Wie konnte er Mootfowl, seinem unsichtbaren Geist, erklären, dass ihn nicht die Liebe, sondern die Geldgier gepackt hatte? Beverly wäre bald tot, und er, Peter, würde andere Frauen lieben, die ihr Leben »besser im Griff« hatten, wie Mootfowl sich ausgedrückt hätte. Und wie konnte er, Peter, diesem Kirchengeist auf seinem lichtüberfluteten Fenstersims klarmachen, dass sich seine Gier nach Geld letztlich von der Liebe nicht hatte mäßigen lassen, sondern unvermindert in sie eingeflossen war?
    Peter war zu Beverly ans Klavier getreten, er hatte sie mit beiden Armen hochgehoben und sie nicht etwa nach nebenan in einen Salon oder ins Arbeitszimmer ihres Vaters, sondern in ein Schlafzimmer getragen. Dort legte er sie auf ein frisches, baumwollenes Laken, das sich so kühl anfühlte wie Seide. Verblüfft sah er zu, wie sie die Spange löste, die ihr Badetuch an den Schultern zusammenhielt. Sie lehnte sich in die Kissen zurück, als böte sie sich den prüfenden Blicken eines Arztes dar, und schlug das Tuch zurück. Ihr Atem ging heftig, es war der Atem des Fiebers. Ihr Blick war starr an die Decke gerichtet. Nach einer kleinen Weile zwang sie sich, ihn anzusehen und erkannte, dass er sich noch mehr fürchtete als sie.
    Sie holte tief Luft und befeuchtete ihre Lippen. Dann atmete sie aus und sagte zu dem Mann, der neben ihrem Bett stand:
    »Ich habe dies noch nie getan.«
    »Was getan?«, fragte Peter Lake.
    »Die Liebe mit einem Mann«, antwortete sie.
    »Das ist verrückt! Sie glühen innerlich, es ist zu anstrengend für Sie«, entfuhr es Peter Lake.
    »Gehen Sie zum Teufel!«, schrie sie ihn an.
    »Aber Miss, ich will ja nicht sagen, dass

Weitere Kostenlose Bücher