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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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diesen Zeiten ein Unternehmen zu führen, das schon seit zweihundert Jahren in Familienbesitz ist …«
    Seine Hände hoben sich kurz, dann ließ er sie einfach fallen. Sie hingen neben dem Stuhl, als seien sie abgestorben.
    »Sie haben gesagt, dass der Entführer eine Nachricht geschickt hat?« Es war die erste Frage, die er an Liebler richtete. »Wie viel Lösegeld verlangt er? Ich werde bezahlen. Und wenn ich alles verkaufen muss, was ich besitze.«
    Liebler schob sich mit dem Stuhl näher, beugte sich nach vorne und sagte fast gleichgültig: »Das genau ist das Problem, Herr Winkler. Der Entführer verlangt kein Lösegeld.«
    »Noch nicht«, entgegnete Carl Winkler verwirrt »Aber er wird es doch noch verlangen, oder?«
    »Vielleicht«, erwiderte Liebler und hob die Schultern. »Vielleicht aber auch nicht. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass er an Geld interessiert ist. Er hat zwar die Wohnung Ihrer Mutter durchsucht, aber er hat keine Wertgegenstände mitgenommen. Und die Nachricht enthielt keine Lösegeldforderung, sondern den Schlüssel zu einem Schließfach, in dem wir das gefunden haben.«
    Er nahm den Umschlag vom Schreibtisch, zog langsam das Foto hervor. Carl Winklers Hand zitterte, als er das Bild entgegennahm. Er schaute es lange an. Schloss kurz die Augen. Die Farbe seines Gesichtes wurde grau. Seine Stimme war kaum noch vorhanden, als er fragte: »Was soll das bedeuten? Ich verstehe es nicht.«
    »Kennen Sie das Foto?«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe es nie gesehen. Aber der Mann hier links, das ist mein Vater.«
    Myriam beugte sich herüber und betrachtete die beiden Männer auf dem Bild. Eine Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn war vorhanden, nur war der Mann auf dem Foto um einiges jünger. Sie hätten auch gleich darauf kommen können.
    »Und der andere Mann?«, wandte sich Liebler wieder an Winkler.
    »Keine Ahnung.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ich kenne ihn nicht.«
    »Wo könnte das Foto entstanden sein? Erkennen Sie die Stadt im Hintergrund?«
    Winkler schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie irgendeine Idee, weshalb man Ihnen diese Aufnahme schickt?«
    »Nein, ich verstehe es nicht.«
    »In welchem Jahr könnte das Foto entstanden sein?«
    Carl Winkler rückte die Brille zurecht und betrachtete das Bild erneut: »In jedem Fall vor meiner Geburt.«
    »Wie können Sie das so genau wissen?«
    »Mein Vater hatte kurz zuvor den rechten Arm verloren.«
    »Ein Unfall?«, fragte Myriam.
    »Wenn Sie es so nennen wollen. Es war im März 1945. Der letzte Bombenangriff auf Frankfurt.«
    Müde und durchgefroren umkreiste Myriam bereits zum dritten Mal erfolglos das Haus, in dem scheinbar unerreichbar ihre Wohnung lag. Aus der bleischweren Erschöpfung, die seit dem Verlassen des Präsidiums ihren Körper befallen hatte, wurde Ungeduld, sodass sie nach der vierten Runde endgültig aufgab und den Chrysler in die enge Parklücke zwängte, die streng genommen keine war, weil ein Ahornbaum dort stand. Einige Male hatte sie bereits für diesen illegalen Parkplatz Strafe zahlen müssen, doch auch für eine Staatsanwältin gab es Situationen, in denen sie sich nicht an Gesetze halten konnte.
    Im Wagen neben ihr, einem alten Opel, saßen drei junge Männer. Sie hörten so laut Musik, dass Myriam jedes Wort verstand. Der Text jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Sie wollte nicht wissen, was sie sonst noch dort trieben. Deshalb schaute sie einfach weg. Irgendwann war es auch für sie zu anstrengend, darauf zu achten, dass die Gesetze eingehalten wurden.
    Sobald sie ausgestiegen war, aktivierte sie die Zentralverriegelung und ging bereits die Stufen hoch, als sie plötzlich hörte, wie hinter ihr eine Wagentür zuschlug und sich ihr Schritte näherten. Gerade wollte sie sich umdrehen, als sich die Haustür öffnete und Dr. Beck, der Allgemeinmediziner, der im ersten Stock seine Praxis hatte, vor ihr stand.
    »Wieder spät geworden«, sagte sie.
    Er schaute auf die Uhr.»Bei diesem Wetter fühlt sich jeder krank. Und Sie? Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.«
    »Sie hätten umschalten sollen.«
    Hinter ihr sprang ein Wagen an. Reifen quietschten. Sie drehte sich um. Schneematsch spritzte, als der Opel Gas gab. Die Musik dröhnte aus dem geöffneten Fenster, und der Fahrer hatte vergessen, das Licht einzuschalten.
    Sie nickte Dr. Beck zum Abschied zu, der noch immer kopfschüttelnd dem Opel nachsah.
    Oben in ihrer Wohnung schaltete Myriam das Licht ein, legte ihre Tasche auf das Bücherregal im Flur und

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