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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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gleichen Augenblick, sie hätte es nicht getan. Ihre Füße wurden auf dem schwarzen Granitfußboden eiskalt. Sie hatte gerade noch Zeit, sich einen Bademantel überzuziehen, bevor Liebler an die Tür klopfte.
    Er roch nach Zigarettenrauch und kalter Luft, doch die Hand, die er ihr reichte, war warm. Sein Kopf steckte unter einer dunkelbraunen Wollmütze, die ihm wider Erwarten stand. Er wartete nicht darauf, dass sie ihn hereinbat, sondern drängte sich an ihr vorbei in den Flur, wo er die Wildlederjacke auszog und an einen Nagel hängte, der aus der Wand ragte. Das Ergebnis ihres vergeblichen Versuches, eine Garderobe anzubringen.
    »Was ist passiert?«, fragte sie. »Warum kommen Sie um diese Zeit hierher?«
    »Reicht Ihnen ein Mord und eine Entführung nicht?« Während er das sagte, sah er sich neugierig in der Wohnung um. »Was hätten Sie denn gerne noch? Einen Amoklauf quer über die Zeil?«
    »Müssen Sie immer den Witzbold spielen?« Sie drängte sich an ihm vorbei Richtung Küche.
    »Das war kein Witz«, antwortete er und folgte ihr, »allenfalls Galgenhumor.«
    »Also, was wollen Sie?« Myriam stand orientierungslos in ihrer Küche, irritert durch seine Anwesenheit.
    »Erst einmal einen Kaffee«, sagte er und setzte sich.
    »Ich trinke keinen Kaffee, sondern Tee.«
    »Kräutertee?«
    »Ach, Sie können mich mal.« Myriam verlor die Geduld. Was, verdammt noch mal, wollte er in ihrer Wohnung? In ihrem Privatbereich? Ihre Adresse war nur der Familie und dem Gericht bekannt. Sie stand nicht im Telefonbuch, sondern hatte eine Geheimnummer. Sie war privat eine Unperson. Existierte nicht. Wer Kontakt zu ihr aufnehmen wollte, konnte sie nur auf ihrem Handy erreichen.
    »Warum haben Sie mich nicht auf dem Handy angerufen?«
    »Habe ich versucht. Mehrfach.« Er hob die Hand zum Schwur. »Ehrlich.«
    »Da haben Sie wohl die falsche Nummer gewählt.«
    »Ihre Nummer würde ich nie vergessen. Ich glaube eher, Ihr Handy ist ausgeschaltet. Ich hatte nämlich das Vergnügen, mit Ihrer Mailbox zu sprechen.«
    »Das gibt es nicht. Ich muss erreichbar sein. Ich habe schließlich Rufbereitschaft.«
    Sein Gesicht verzog sich zu einer betont sorgenvollen Miene. Hektisch begann Myriam nach ihrem Handy zu suchen, das sie schließlich im Badezimmer unter ihrer Unterwäsche fand. Liebler hatte Recht. Es war völlig tot.
    Verflucht, sie hatte doch tatsächlich vergessen, den Akku aufzuladen.
    Zurück in der Küche stand Liebler vor dem Kühlschrank und war damit beschäftigt, ihre kulinarischen Restbestände zu sammeln. Ein Magerquark, eine italienische Dauerwurst, eine giftgrüne Paprikaschote. Die beiden Fleischtomaten hatten das Verfallsdatum mit Sicherheit überschritten, aber aufgrund genetischer Manipulation die rote Farbe behalten.
    »Die Tomaten sind hinüber«, sagte er, als er sie bemerkte.
    »Die habe ich für Dr. Veit aufgehoben.«
    »Was will der denn damit?« Irritiert starrte er auf die To-mate in seiner Hand.
    Myriam setzte sich, zog die Füße hoch und erwiderte: »Ich beobachte sie schon seit drei Wochen. Ihre Verwesung geht vonstatten, ohne dass sie sich äußerlich verändern. Ist das normal? Nein, ist es nicht. Dr. Veit soll der Sache einmal auf den Grund gehen. Vielleicht kann man die äußere Haltbarkeit der Tomaten auf den Menschen übertragen. Er könnte das als Patent anmelden.«
    Es dauerte eine Weile, bis Liebler verstand, dass sie einen Scherz machte. Er stellte die Sachen auf den Tisch.
    »Hören Sie auf, den Witzbold zu spielen«, sagte er.
    »Das war kein Witz, das war Galgenhumor.«
    Sie hob das Handy hoch.
    »Akku leer?«, fragte Liebler.
    Sie nickte.
    »Brot?«
    »Auch leer.«
    »Essen Sie nie etwas?«
    »Ich bin wie ein Kamel«, antwortete Myriam. »Ich esse mir in Ruhezeiten Speck für die nächsten Wochen an. Dann halte ich es wochenlang ohne Nahrung aus. Außerdem, vor einem Besuch in der Rechtsmedizin esse ich grundsätzlich nicht.«
    »Verstehe.«
    Seine Miene war völlig unbewegt. Ihre Unterhaltung war ein absurdes Gespräch aus reiner Verlegenheit.
    »Haben Sie die schon gelesen?« Er hob die Zeitung hoch.
    »Sie haben sie aus meinem Briefkasten geklaut.«
    »Nein. Sie lag vor Ihrer Wohnungstür. Ich habe sie nur aufgehoben.« Er schlug die Seiten auf. »Dann haben Sie auch Ihr Starfoto noch nicht gesehen?«
    Sie beugte sich über den Tisch, wobei ihr Bademantel ein Stück auseinanderklaffte.
    Das Bild war nicht zu übersehen. War der Fotograf auf dem Boden gelegen? Sie wirkte völlig

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